Zeitungsbericht

Foto: Roland Kohls
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13.09.2010 Die Erinnerungen holen Jürgen W. (Name von der Redaktion geändert) hier am Eingang des Godesheim-Geländes ganz schnell ein. "Da oben waren damals die Essensräume. Und da drunter haben wir geduscht", sagt der 48-Jährige leise.


Bad Godesberg. Die Erinnerungen holen Jürgen W. (Name von der Redaktion geändert) hier am Eingang des Godesheim-Geländes ganz schnell ein. "Da oben waren damals die Essensräume. Und da drunter haben wir geduscht", sagt der 48-Jährige leise.


"Damals" heißt für W. die Zeit von 1967 bis 1976, als er in Obhut der evangelischen Jugendhilfeeinrichtung aufwuchs. Er könne Fußball bei ihm gucken, habe der damalige Gruppenleiter des Hauses Sturmeck ihn wie andere Jungen 1974 ins Erzieherzimmer gelockt. Und dann habe er ihn unsittlich berührt, schaudert es den 48-Jährigen noch immer.


Er wisse heute mindestens von vier damaligen Freunden, dass es ihnen bis 1975 mit dem pädophilen Pädagogen ebenso ergangen sein soll. Der GA sprach mit zwei Betroffenen direkt. "Wir haben seither alle einen Knacks", versucht W. einen Witz und wird schnell wieder ernst. Ihm sei bis heute jede körperliche Nähe von Männern zuwider. "Ich halte es nicht mal in Gemeinschaftsduschen aus."


Es habe ihn gewurmt, dass der heutige Godesheim-Leiter Klaus Graf im Mai und Juni in GA-Interviews lediglich Missbrauchsfälle für die 30er und 40er Jahre nannte. "Es gibt Taten im Heim, die sind viel näher. Und wir leiden noch immer", so W. Weil sich damals nämlich weder die Jugendhilfeeinrichtung noch das Jugendamt um die Schutzbefohlenen gekümmert hätten.


1975 sei das Verhalten des Gruppenleiters plötzlich durch Aussagen eines Jungen aufgeflogen, erzählt der Mann. "Der Erzieher ist von einem Tag auf den anderen verschwunden. Und wir Jungen wurden in Kinderheime in der ganzen Republik verteilt. Wir wurden einfach entsorgt." Er wolle, dass das endlich aufgearbeitet werde. Weshalb der 48-Jährige sich ans Godesheim wandte.


Das hatten andere schon zuvor getan. Vor 20 Jahren etwa ein damaliger Leidensgenosse, der sich schließlich sogar Akteneinsicht in Heim und Jugendamt erkämpft haben soll. Laut GA-Informationen hielt der fassungslose Mann dort geschwärzte Unterlagen in Händen. Es sei alles bewusst vernichtet worden, lautet seine Folgerung.


Die Akte des 1943 geborenen möglichen Täters, der von Februar 1974 bis September 1975 als Gruppenleiter an der Waldstraße beschäftigt war, sei sehr dünn, erklärt Klaus Graf, seit 1994 Leiter der Evangelischen Jugendhilfe Godesheim, auf GA-Frage. Graf ist erschüttert darüber, was ihm durch Betroffene und den GA zugetragen wird, und bietet den möglichen Opfern das Gespräch an. "In unserer Akte gibt es keinerlei Hinweis auf sexuellen Missbrauch", betont er.


Allerdings liege ein vom damaligen Godesheim-Leiter und vom Godesberger Superintendenten gezeichnetes Kündigungsschreiben bei, das den betreffenden Erzieher mit sofortiger Wirkung suspendierte und ihm Geländeverbot erteilte. "Das ist in seiner Konsequenz schon vielsagend", so Graf. Er finde aber weder einen Verweis auf eine für ihn wünschenswerte juristische Aufarbeitung noch auf den weiteren Verbleib des Mannes.


Zur Aktenlage bei den Opfern könne er nur über ihre Namen weiterhelfen, so Klaus Graf. Die dem GA bekannten drei Betroffenen wiederum wollen anonym bleiben. Auch beim Jugendamt ist aus Datenschutzgründen nicht weiterzukommen. "Man hat damals alles blitzschnell unter den Teppich gekehrt", sagt Johannes Schillo, von 1973 bis 1975 als Zivildienstleistender dem beschuldigten Erzieher unterstellt war.


"Das Heim fühlte sich als pädagogisches Vorzeigeheim. Und genau dieser Pädagoge galt als Kronprinz des damaligen Leiters", erzählt der heutige Fachjournalist. Dass der Erzieher die Halbwüchsigen zu sexuellen Handlungen gezwungen haben soll, habe er jedoch damals nicht gewusst, so Schillo. Schlimm sei für ihn, wie mit den Betroffenen umgegangen worden sei, nachdem die Taten herausgekommen waren: Man habe sie bei Nacht und Nebel weggeschickt.


Ein geschädigter Junge habe sich später das Leben genommen. Deshalb habe auch er nach Erscheinen der GA-Artikel mit dem heutigen Godesheim-Leiter Kontakt aufgenommen, so Schillo. "Der fiel aus allen Wolken." Jürgen W. hatte, so sagt er, im Frühjahr gegen seinen Peiniger Strafanzeige gestellt. Die Staatsanwaltschaft habe das Verfahren wegen Verjährung eingestellt. (Von Ebba Hagenberg-Miliu)