ZitatAlles anzeigenDas erste Bier ausgerechnet in der Jugendhilfe
Ausgerechnet in Einrichtungen der Jugendhilfe greifen offenbar viele Kinder und Jugendliche erstmals zu Drogen: Alkohol, Zigaretten, Haschisch oder auch Crystal Meth. Doch wie kommt es dazu und was könnte dagegen getan werden?
Das blonde Mädchen umarmt ihren Bruder fest, klammert sich regelrecht an ihn. Der Rucksack auf dem Rücken des zierlichen Kindes scheint viel zu groß zu sein. Die Geschwister haben sich monatelang nicht gesehen. An diesem Sommertag treffen sie sich heimlich auf einem Parkplatz in Thüringen. Denn ihr Umgang ist von Amts wegen beschränkt. Seit zwei Jahren lebt Nele in einem Kinderheim. Gegen den Willen ihrer Mutter, ihres älteren Bruders und gegen ihren eigenen Willen. Seitdem versucht sich die 13-Jährige abends mit Alkohol zu "entspannen", berichtet sie MDR exakt. So wie es auch andere Kinder und Jugendliche tun würden, die wie sie im Heim leben.
Der Grund für die Einweisung: Das Jugendamt befürchtete, dass es irgendwann mal zu einer Kindeswohlgefährdung kommen kann, wegen einer problematisch engen Bindung zwischen Mutter und Tochter. In einem Gutachten, das MDR exakt vorliegt, wird von "Parentifizierung" gesprochen. Nun leidet Nele unter der Trennung. Jeden Abend weint sie sich in den Schlaf, erzählt das Mädchen. Sie ist in einem seelischen Ausnahmezustand. .[......]
Ob die Inobhutnahme von Nele verhältnismäßig war, dazu will sich das zuständige Jugendamt des Saale-Holzlandkreises auf Anfrage von MDR exakt nicht äußern, bestätigt aber ganz allgemein: "Die Inobhutnahme ist immer […] das letzte Mittel, um eine Kindswohlgefährdung abzuwenden oder zu verhindern." [......]
Die 13-Jährige hat große Sehnsucht – und das mitten in der Pubertät. Die wird sowohl von Jugendlichen als auch Angehörigen und Lehrern oft als Ausnahmezustand empfunden. Wenn in diesem Entwicklungsstadium eine seelische Notlage hinzukommt, kann dies früh in eine Katastrophe führen. Nicht selten führt diese Kombination zu "Ersatzhandlungen" der Jugendlichen. [......]
Drogen gegen die Realität – und dies bei Jugendlichen, die in Einrichtungen der Jugendhilfe leben. Immer wieder haben Kinder offenbar genau dort erstmals Kontakt zu Drogen. "Wir reden oft dann auch von Risiken und Nebenwirkungen der Jugendhilfe", sagt der Soziologe und Therapeut Haçi Bayram. Er ist Chef von "Par-ce-Val". Der Jugendhilfeverein betreibt auch in der Nähe von Döbeln in Sachsen eine Betreuungseinrichtung. "So wichtig die Jugendhilfe ist, so gefährlich kann sie auch sein."[......]
In Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt sind 2019 insgesamt 5.616 Kinder und Teenager in Einrichtungen der Jugendhilfe untergebracht worden. Wie oft Drogenmissbrauch während dieser Unterbringung eine Rolle spielt, dazu gibt es keine Statistik. [......]
Wie sehr sich doch die Zeiten geändert haben. Bleibt nur noch zu klären, wieso es überhaupt erst dazu kommt, dass schon so früh Kinder an all das selbstzerstörerische Zeugs herankommen können. Kinder können sich schließlich zurecht keinen Alkohol kaufen und dürften noch schwerer an Drogen kommen. Wie also ist all das möglich?