Grabow, Waisenhaus
Wer kennt die Adresse?
Hier ein Bericht vom Heim von NDR1 Radio MV
Als der Krieg zu Ende war
Als Waise kommt sie im August 1945 in das Kinderheim in Grabow
bei Ludwigslust: Brigitte Dagmar Görke, damals sieben Jahre alt. Über
ihre Erlebnisse in den ersten Monaten im Frieden hat sie mit Simone
Hantsch gesprochen.
Helles Lachen hallt über die Wiesen bei Ludwigslust. 30 Kinder, darunter
die siebenjährige Brigitte und ihr jüngerer Bruder Lutz, hüpfen durch
das Grün und genießen die Strahlen der Augustsonne. Eifrig fahren ihre
Hände immer wieder durchs Gras auf der Suche nach Sauerampfer. Die
Köchin des Waisenhauses will zum Abend eine kräftige Suppe zubereiten. Die Pflegemutter von Brigitte hat die beiden Waisen im Heim in Grabow
abgegeben in der Hoffnung, dass sie hier besser versorgt werden. Auf
einem Treck ist sie im April 1945 mit den beiden Kindern von Eberswalde
nach Kohlenfeld im ehemaligen Kreis Hagenow gelangt. Brigitte ist mit
ihrem Bruder erst seit wenigen Tagen im Waisenhaus.
Läuse und Krätze
"Da angekommen waren wir nach wenigen Tagen den Kindern sehr ähnlich,
weil wir dann genauso viele Läuse hatten wie sie", sagt Frau Görke. "Das
war das erste, wenn man in das Heim kam: Man wurde zwar entlaust - man
bekam so eine Läusekappe auf aus Windeln und so ein Zeug darein, damit
wir erst einmal lausefrei waren. Aber es kamen ja täglich Neue von der
Straße und damit auch täglich neue Läuse. Und später kam dann auch noch
Krätze dazu. Das ist eine ganz üble Hautkrankheit."
Das Heim wird von Müttern wie Frau Borowski geleitet. Sie war mit ihren Kindern aus Königsberg nach Grabow
gekommen. Unterstützung bekommt sie vor allem von Christel Schön, die
in der Stadtverwaltung arbeitet, und von den sowjetischen Truppen, die
dort stationiert sind. Sie bringen Brot, Kartoffeln, manchmal auch ein
paar Kleider. Für ihre gesammelten Kornähren bekommen die Kinder Schrot
aus der Mühle. Beim Zahnarzt Doktor Londe gibt es jedes Mal ein Stück
Würfelzucker und aus der Molkerei täglich 40 Liter frische Molke.
Familien nahmen zu Weihnachten Heimkinder auf
Brigitte Dagmar Görke erinnert sich noch genau an Weihnachten 1946. "Da haben viele Grabower
Handwerkerfamilien zum Beispiel Kinder aufgenommen, bewusst
aufgenommen. Das kann über das Heim organisiert gewesen sein, das weiß
ich nicht. Jedenfalls konnte man die beiden Weihnachtsfeiertage eben bei
diesen Leuten sein und essen in der Familie und mal so richtig schön
essen. Ich war bei einer Malerfamilie. Und wenn ich heute in Grabow
bin, ich gucke immer noch in diese Straße. Das ist so was Bleibendes.
Das bleibt ewig hängen. Und ich denke mir, man hat damals in der Zeit
oft versucht, das Beste für die Kinder zu machen, soweit möglich
sicher."
Im Heim lernen die Kinder nützliche Dinge
Die Heimerzieherinnen sorgen für die Kinder so gut es eben geht und
versuchen, ihnen nützliche Dinge beizubringen. Brigitte lernt stricken,
häkeln und Flickerlpüppchen nähen und wie man aus reifen Erlenfrüchten
Tinte herstellen kann. "Oder wir mussten Kastanien sammeln. Die wurden
dann gerieben, und dann konnte man Bälle formen und das trocknen, und
das schäumte dann so ein bisschen wie Seife oder so was. Ich muss noch
einmal auf Frau Jäger zurückkommen. Sie war so prägend für uns. Ich
glaube, weil wir mit ihr gearbeitet haben. Man hat den Küchendienst mit
ihr gemeinsam gemacht, sie hat erzählt. Alle Kinder, die aus dem Kinderheim kamen, konnten Platt sprechen."
Im Frühjahr 1947 kommt der Ehemann der Heimleiterin Borowski aus der
Kriegsgefangenschaft. Er und seine Frau ziehen mit ihren drei eigenen
Kindern nach Eldenar. Das Heim übernimmt Schwester Magdalena Philipps.
"Die kam aus Ludwigslust und... Ich weiß nicht, ob das Heim dann in
kirchliche Obhut übergegangen ist. Das kann ich nicht sagen. Aber vorher
hieß es 'Frau Borowski' und dann hieß es 'Schwester Magdalena'. Und
plötzlich musste vor jeder Mahlzeit gebetet werden. Das kannten wir
vorher nicht. Demnach muss es irgendwie unter kirchlicher Regie gewesen
sein. Die Schwester Magdalena hat’s wohl gut gemeint, die hat
rausgegeben, wer raus konnte. So kam mein Bruder im Juni 1947 zu
Pflegeeltern nach Ludwigslust. Ich durfte dann noch bis Oktober da
bleiben, dann kam ich hierher."
Brigitte und ihr Bruder ziehen zu Pflegeeltern
Brigitte zieht zu ihren Pflegeeltern nach Neujabel. Und obwohl die
Geschwister in unterschiedlichen Pflegefamilien aufwachsen, verlieren
sie sich nicht aus den Augen und sehen sich noch heute regelmäßig. Sie
hatten Glück. Und trotzdem kommen immer wieder diese schmerzvollen
Gedanken: "Aber sonst im Allgemeinen war es so, dass die Kinder eben
alleine auf sich gestellt waren. Und oft auch nicht wussten, wo sie
herkommen, wo ihre Wurzeln sind. Und ich denke mir, das ist das
Allerschwerste. Ich denke mir, das ist das größte Trauma dieser
Generation, dass sie irgendwo doch haltlos ist - viele, die überhaupt
keine Angehörigen haben. Und ich denke mir, wenn solche Frauen nicht
gewesen wären, was wäre dann gewesen? Man liest ja ganz schlimme
Geschichten. Ich kenne zum Beispiel jemanden, der war auch in einem Kinderheim,
ein Flüchtlingsjunge aus Masuren, der hat ganz andere Erinnerungen. Und
ich meine, dass diese Gemeinschaft im Heim auch die Kinder geprägt
hat."
Diese Gemeinschaft liegt ihr am Herzen. Und dort liegt auch der Wunsch,
der sie schon seit langem begleitet: Brigitte möchte die Mädchen und
Jungen aus dem Heim in Grabow noch einmal wiedersehen.
Autoren: Eva Storrer, Holger Vonberg, Simone Hantsch
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