Erstellt 24.05.11, 17:32h
In Heimen lebten in den 50er und 60er Jahren tausende Kinder unter desolaten Bedingungen. Sie wurden geschlagen, in Einzelfällen sexuell missbraucht und in den kirchlichen Einrichtungen
zum Beten gezwungen. Kindesmissbrauch hinterlässt schwere seelische Schäden, unter denen die Opfer oft ein Leben lang leiden.
BOCHUM - Die Kirchen dringen auf eine schnelle Entschädigung für frühere Heimkinder, die in den Einrichtungen bis in die 70er Jahre hinein vielfach geschlagen und zu unbezahlter Arbeit gezwungen wurden. „Frühere Heimkinder haben schon viel zu lange auf eine konkrete Lösung gewartet“, sagte der Vertreter der Deutschen Bischofskonferenz, JohannesStücker-Brüning, am Dienstag bei der Vorstellung einer Studie an der Universität Bochum.
Die Kirchen hätten Vorsorge getroffen, ihr Drittel zu dem 120-Millionen-Opferfonds zu zahlen, den der Runde Tisch Heimerziehung in Berlin Ende 2010 vorgeschlagen hat, ergänzte der Präsident des
EKD-Kirchenamtes, Hans Ulrich Anke. Was immer noch ausstehe, sei ein positives Votum der Länder für die Finanzierung ihres Drittels. Den Rest soll der Bund übernehmen.
In jüngster Zeit gebe es Signale, dass in den süddeutschen Ländern der Widerstand gegen den Fonds nachlasse, sagte Stücker-Brüning. Dies gelte etwa für Hessen.
Von den 50ern bis in die frühen 70er Jahre waren nach Schätzungen etwa 800 000 Kinder unter aus heutiger Sicht oft unakzeptablen Bedingungen in
Heimen, davon etwa 500 000 in kirchlichen Einrichtungen. Die Praxis in den kirchlichen Einrichtungen wurden in der Bochumer Studie erstmals bundesweit untersucht.
„Es waren schwierige und teils desolate Bedingungen, die den Weg ins Leben erheblich erschwert und teils unmöglich gemacht haben“, resümierte der evangelische Theologe Prof. Traugott Jähnichen die Studie, für die exemplarisch neun große Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen, Bayern und Niedersachsen untersucht wurden.
Riesigen Kindergruppen standen nach den Ergebnissen völlig überforderte Erzieher in Gebäuden mit oft erheblichen Mängeln gegenüber. Die Kinder wurden unter striktem Verschluss in einer „totalen Institution“ gehalten, berichtete Jähnichen. Kontakte nach außen wurden oft abgeschottet, es gab religiösen Zwang, der vielen Kindern später den Zugang zu Gott unmöglich gemacht habe. In den katholischen Einrichtungen habe ein rigider Lebensstil geherrscht, der sich an die klösterliche Lebensweise anlehnte, berichtete der katholische Theologe Prof. Wilhelm Damberg. Der Etat pro Kind habe 1,50 Mark pro Tag betragen - viel zu wenig, so dass die Bewohner für ihren Lebensunterhalt auf Bauernhöfen in Heimnähe mitarbeiten mussten. Daher wird von Betroffenen auch die Forderung nach nachträglicher Zahlung von Rentenbeiträgen erhoben. Flächendeckender sexueller Missbrauch in den Heimen sei bei den Untersuchungen nicht aufgefallen, sagte Damberg. Es habe aber Einzelfälle gegeben. Insgesamt müsse man davon auszugehen, dass es in extrem geschlossenen Systemen wie den Kinderheimen Täter leichter hatten als draußen.
Quelle:dpa