Götz Hausding
Ausgebeutet und verprügelt
Vier Fraktionen wollen Vorschläge des Runden Tisches umsetzen. Die Linke fordert mehr
Anfang des Jahres hat der vom Bundestag eingesetzte Runde Tisch "Heimerziehung" seinen Abschlussbericht vorgelegt. Darin wird nicht nur das Leid ehemaliger Heimkinder anerkannt, die zwischen 1949 und 1975 in kirchlichen, staatlichen oder privaten Heimen der Bundesrepublik verprügelt, drangsaliert, ausgebeutet und gedemütigt wurden. Auch über Entschädigungsleistungen haben sich die Mitglieder des Runden Tisches, zu denen auch drei betroffene Ex-Heimkinder gehörten, verständigt. Vorgeschlagen wird ein Fonds, der mit 120 Millionen Euro ausgestattet sein soll, jeweils zu einem Drittel getragen vom Bund, den Ländern und der katholischen sowie der evangelischen Kirche. 100 Millionen Euro davon sollen in den Unterfonds "Folgeschäden der Heimerziehung" fließen, 20 Millionen Euro sind für Rentenersatzleistungen vorgesehen.
Umsetzung bis Jahresende
In einem gemeinsamen Antrag (17/6143) verlangen nun die Fraktionen von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen von der Bundesregierung eine Umsetzung der Vorschläge des Runden Tisches bis Ende des Jahres. Gleichzeitig soll es nach den gleichen Maßstäben auch eine Entschädigung von Kindern geben, die in den Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen der DDR Unrecht erlitten hatten. Als unzureichend beurteilt die Linksfraktion die Entschädigungsvorschläge. In einem eigenen Antrag (17/6093) fordert sie ein "Heimerziehungsopferentschädigungsgesetz". Darin soll eine monatliche Entschädigungsleistung von monatlich 300 Euro oder - nach Wahl der Berechtigten - eine Einmalzahlung von 54.000 Euro festgeschrieben werden. Damit soll für die Betroffenen eine Anerkennung der erlittenen Nachteile und Schädigungen geschaffen werden, wie die Fraktion schreibt.
Im Grunde verjährt
Während der ersten Lesung der Vorlagen am vergangenen Donnerstag kam es erwartungsgemäß zu einem heftigen Schlagabtausch. Rednerinnen der Unions-, SPD- und FDP-Fraktion machten auf die Schwierigkeiten im Umgang mit den Ansprüchen der Heimkinder aufmerksam. Diese seien im Grunde alle verjährt gewesen, weil die Betroffenen jahrzehntelang verständlicherweise nicht den Mut gehabt hätten, sich zu offenbaren, sagte Marlene Rupprecht (SPD). Geblieben sei der Weg, sich mit einer Petition an den Bundestag zu wenden. Sie erinnere sich noch an die große Betroffenheit bei den Abgeordneten angesichts der Erzählungen der Heimkinder. Der Petitionsausschuss habe sich schließlich einstimmig dafür entschieden, den Runden Tisch einzurichten, um das Geschehen aufzuarbeiten. Sie habe sich gefreut, dass es dort gelungen sei, "gemeinsam Verantwortung zu übernehmen", sagte die SPD-Abgeordnete.
Anfangs habe es noch Hoffnung gegeben, dass es sich nur um "schreckliche Einzelfällen" handelt, erinnerte sich die CSU-Abgeordnete Dorothee Bär. Später sei klar geworden, dass in vielen Heimen "systematisch gegen geltendes Recht und die elementaren Grundsätze der Verfassung verstoßen wurde". Es gehe nun nicht nur darum, ein aufrichtiges Mitgefühl auszudrücken, sondern auch um konkrete Maßnahmen für finanzielle Rehabilitierungen. Diese Hilfsangebote sollten sich an den Empfehlungen des Runden Tisches orientieren und auch die Opfer in der DDR einschließen.
Eine Auseinandersetzung mit dem Schicksal der Heimkinder sei auch für die Zukunft wichtig, befand Sibylle Laurischk (FDP). "Nur ein funktionierender Rechtsstaat garantiert, dass es nicht zu einer Wiederholung kommt", sagte sie. Der vorgelegte Antrag sei ein Auftrag an die Bundesregierung, bis Ende des Jahres eine umfassende Lösung vorzulegen. "Die Frage der Wiedergutmachung muss für die Betroffenen abschließend und zufriedenstellend geklärt werden", forderte die FDP-Parlamentarierin.
Mit der geplanten Fondslösung sei dies nicht möglich, urteilte Heidrun Dittrich (Die Linke). Stünden nur 20 Millionen Euro für direkte Zahlungen zur Verfügung, bedeute dies, dass jeder der geschätzten 30.000 Antragsberechtigten einmalig 666 Euro erhalten würde. "Sie lassen Kirchen, Staat und Betriebe, die von der Arbeit der Heimkinder profitiert haben, sehr billig davon kommen", kritisierte Dittrich die anderen Fraktionen. Für Entrüstung sorgte Dittrich mit der Aussage, die am Runden Tisch stimmberechtigten Heimkinder seien erpresst worden. Es habe geheißen: "Entweder ihr stimmt der freiwilligen Fondsregelung zu oder es gibt gar nichts." Dittrich berief sich dabei auf einen ihr vorliegenden Brief eines Opfervertreters, der am Runden Tisch mitgearbeitet habe. "Das allein ist ein Skandal", befand Dittrich. Damit sei erneut würdelos mit den Opfern umgegangen worden.
»Das stimmt nicht«
Energischen Widerspruch gab es dazu von Marlene Rupprecht. "Ich hätte es nie zugelassen, dass irgendjemand unter Druck gesetzt oder erpresst wird", betonte sie. Ihre Aufgabe sei es gewesen, darauf zu achten, dass am Runden Tisch die Vorstellungen des Petitionsausschusses umgesetzt werden. Rupprecht unterstrich: "Egal, was wer behauptet - das stimmt so nicht."
Kritik an Dittrichs Äußerungen gab es auch von der Grünen-Abgeordneten Katja Dörner. "Es ist sehr traurig und unangemessen, wie durch Sie die sehr gute Arbeit des Runden Tisches diffamiert wird", sagte Dörner. Es könne zwar nicht gelingen, "erlittenes Unrecht wieder gut zu machen", doch gehe es darum, die heutige Lebenssituation der einstigen Heimkinder zu verbessern. Vor diesem Hintergrund könne die Arbeit des Runden Tisches nicht genug hervorgehoben werden. Dessen Empfehlungen müssten nun sehr schnell umgesetzt werden, forderte Dörner: "Im kommenden Jahr muss die Stiftung arbeitsfähig sein."
Quelle: das parlament