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Die Rechte der ehemaligen Heimkinder untersucht von PROF. DR. PETER SCHRUTH persönlich -- und ein diesbezügliches RECHTSGUTACHTEN angefertigt von ihm persönlich am 22. FEBRUAR 2010.
Einleitender Kommentar von dem seit dem 23. März 1964 in Australien ansässigen, heute 65-jährigen Ehemaligen Heimkind und Zwangsarbeiter in deutschen Kinderheimhöllen in den 1960er Jahren, Martin MITCHELL (MM):
„Recht“ sorgte damals in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) dafür dass Unrecht wie geschmiert funktionierte und „Recht“ sorgt heute ebenso in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) dafür das Unrecht weiterhin wie geschmiert funktioniert.
Es gibt, m.E., nicht das Geringste auszusetzen an diesem RECHTSGUTACHTEN selbst ! – und ich der Australier Martin MITCHELL selbst stehe in völliger Übereinstimmung DAMIT !
Eine juristische Bewertung von Prof. Dr. Peter Schruth bezüglich dem gewünschten Vorgehen des ausserparlamentarischen Gremiums »Runder Tisch Heimerziehung in den 50er und 60er Jahren« (RTH) unter Schirmherrschaft der ev. Pastorin Dr. Antje Vollmer, Bundestagsvizepräsidentin a.D., um seinem vom Deutschen Bundestag erteilten Auftrag gerecht zu werden.
ZitatAlles anzeigenJuristische Bewertung
Das erlittene Unrecht ehemaliger Heimkinder im Lichte eines Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts
[ 22. Februar 2010 ]
Author: Prof. Dr. Peter Schruth
Zumsammenfassung
Der Deutsche Bundestag beschloss im Dezember 2008, der Empfehlung des Petitionsausschusses zu folgen, einen Runden Tisch im Wesentlichen mit der Aufgabe einzurichten, die Praxis der Heimerziehung in der Zeit von 1949 bis 1975 unter den damaligen rechtlichen pädagogischen und sozialen Bedingungen aufzuarbeiten und zur Bewertung der Forderungen der ehemaligen Heimkinder Kriterien und mögliche Lösungen zu entwickeln. 1 Der vom Runden Tisch Heimkinder [sic (MM)] (RTH) im Januar 2010 vorgelegte Zwischenbericht (AGJ 2010) [21.01.2010 (MM)] befasst sich neben den Beschreibungen des Leids ehemaliger Heimkinder und des Systems Heimerziehung auch mit der Frage der rechtlichen Bewertung des erlittenen Leids als Unrecht.
Schlüsselwörter
Heimerziehung – Missbrauch – Jugendhilferecht – Petitionsrecht – Bewertung – Bundesverfassungsgericht
Einführung
Im Anschluss an die Bewertung des Petitionsausschusses des Bundestages, der schon „erlittenes Unrecht“ der ehemaligen Heimkinder feststellte, ist in der öffentlichen Debatte allgemein unstreitig, dass die damalige Heimerziehungspraxis in Deutschland „Unrecht“ war. Strittig ist geblieben, worin dieses Unrecht in der damaligen Zeit und Auffassung von Erziehung, elterlicher Gewalt und Züchtigungsrecht, von Zucht und Ordnung in der öffentlichen Heimerziehung und dem damals geltenden (Reichs-)Jugendwohlfahrtsgesetz bestand,
▲ ob es ein im Einzelfall ausgeübtes Unrecht war oder darüber hinausgehend ein beschreibbares Unrecht einzelner Fürsorgeanstalten;
▲ ob das Unrecht in einer Verantwortungskette von den Betreuern bis zu den Trägerverantwortlichen der Heime, den beteiligten Vormündern, Behörden und Gerichten zu sehen ist;
▲ ob die von Kindern und Jugendlichen erfahrene Praxis der Fürsorgeerziehung in Deutschland als ein umfassendes Unrechtssystem repressiver Erziehung zu klassifizieren ist.
Wo kommt der Maßstab her zu beurteilen, dass zum Beispiel die dem Kind erteilte Ohrfeige, sein tagelanges Wegsperren in einer dunklen Zelle mit wenig Essen eine angeblich angemessene Ausübung des damals zulässigen Züchtigungsrechts oder strafrechtlich relevante, aber verjährte vorsätzliche Körperverletzung war? Ab wann sollten die Beurteilenden nicht mehr von Einzelschicksalen, Einzeltätern, von einzelnen Heimen mit rechtswidriger Erziehungspraxis, von Verantwortungskette sprechen, sondern von systematischem Unrecht der damaligen Heimerziehung in Deutschland?
Es fragt sich, wozu diese Klärung wichtig ist, was eigentlich so bedeutsam gerade an der Differenzierung der umfassenden Unrechtsbeschreibung damaliger Heimerziehung sein soll. Bekämen ehemalige Heimkinder mit einer genauen Einordnung ihres erlittenen Leids als individuelles oder strukturelles, als „erzwungene Arbeit“ oder „Zwangsarbeit“, als einfachgesetzliches oder verfassungsrechtliches oder Menschenrechte verletzendes Unrecht mehr öffentliche und persönliche Anerkennung ihres Leids, mehr Gerechtigkeit in den Antworten zu ihrer gesellschaftlichen Rehabilitation? Nach meinem Verständnis ist die Unrechtsbeschreibung nicht einfach eine Funktion für die Bereitschaft des Staates und der Kirchen zur materiellen und immateriellen Anerkennung des den ehemaligen Heimkindern zugefügten Leids. Der Beschreibung des Unrechts kommt vielmehr eine wesentliche Bedeutung zu in der kritisch-aufklärerischen Aufarbeitung, für die zu findenden gesellschaftlichen Antworten gegenüber den Opfern und für die Vermeidung der Wiederholung dieses (gesellschaftlich verursachten) Leids in der gegenwärtigen und zukünftigen stationären Erziehungshilfe für Kinder und Jugendliche. Das setzt elementar voraus, sich über die Methodik, die Kategorienbildung, das Verständnis von Recht und Moral zu verständigen, um sich nicht blind im normativen Interessengerangel des Rechts abseits der Lebenswirklichkeit der damaligen Heimerziehung zu verlieren. Wie aber läst sich danach das erlittene Leid und Unrecht beurteilen, ohne sich dem Verdacht auszusetzen, intransparent interessengeleitet, zu formal und letztlich ungerecht zu urteilen?
Recht beschreibt kein Leid – es war Funktion des Leids
Recht selbst beschreibt kein Leid. Im Fall der ehemaligen Heimkinder half es vielmehr, Leid zuzufügen und zu ligitimieren. Recht war hier eine Funktion 2 des Leids, weil es an vielen Stellen vom Weg ins Heim, dem fehlenden rechtsstaatlichen Verfahren, dem fehlenden Rechtsschutz der betroffenen Minderjährigen, in der repressiven und entwürdigenden Fürsorgeerziehungspraxis, in der fehlenden Kontrolle und gänzlich fehlenden Heimaufsicht im Wesentlichen allen (Mit)Verantwortlichen in einer langen staatlichen und kirchlichen Verantwortungskette Schutz gab. Dies könnte auch ein Grund dafür sein, dass in der Öffentlichkeit so oft um die richtige Rechtsbegrifflichkeit für die Beurteilung des Leids ehemaliger Heimkinder gestritten wird. Handelt es sich bei strafrechtlich relevanten Erziehungsmethoden in der Fürsorgeerziehung um Menschenrechtsverletzungen oder Verletzungen des Übermaßverbots oder nur um eine Verletzung verjährter Strafrechtsvorschriften? Es geht dabei stehts um das Gleiche: Das Maß der Anerkennung des Leids ehemaliger Heimkinder und die Verantwortlichkeiten für den daraus abgeleiteten Schuldvorwurf.
Die normative Rechtsbegrifflichkeit wie „drohende Verwahrlosung“ oder „angemessene Züchtigung“ sagt nichts über regelmäßig angewendete Kriterien der Auslegung dieser Begriffe durch die Anwender in den beteiligten Behörden und Gerichten aus. Selbst nach damaliger Sicht dienten diese Begriffe mit ihrer definitionsorientierten, diskriminierenden und die Betroffenen demütigenden Ausgrenzungslogik weitgehend willkürlich der „rechtlich legitimisierten“ Fremdunterbringung von Minderjährigen ohne dass es eine Chance im Interesse der Kinder und Jugendlichen gegeben hätte, ein eventuell bestehendes Erziehungsbedürfnis mit einem geeigneten Hilfsangebot qualitativ zu verbinden oder notfalls zu verweigern. Die maßgeblichen Rechtskategorien der Heimunterbringung waren in der damaligen Zeit selbst die erforderlichen, unbefragbaren Hilfsmittel zur Herbeiführung und Aufrechterhaltung des Leids ehemaliger Heimkinder. Deshalb kann Unrecht auch nicht einfach die Abwesenheit von Recht sein – es sei denn wir würden überrechtlice Maßstäbe einer gewaltfreien von Selbstbestimmung und auf Persönlichkeitsentwicklung orientierten, humanistischen Erziehung anlegen. Und das würde wenigstens bedeuten, dass die Einordnung und Beurteilung des erlittenen Leids ehemaliger Heimkinder in Kategorien des Rechts eine Verständigung darüber braucht, ob wir es für verantwortbar halten Kategorien des abgestuften Leids einzuführen (zum Beispiel fängt ab der vierten Orfeige oder dem vierten Tag in Dunkelhaft „unangemessenes Züchtigungsrecht“ an), ob wir es für verantwortbar halten, nur das als Leid anzuerkennen, was nicht nur behauptet, sondern beweisbar ist (zum Beispiel mittels Aktenauswertung), oder ob wir allgemein für verantwortbar halten, den vielen Berichten und Forschungsergebnissen über das erlebte Leid ehemaliger Heimkinder besondere Anerkennung über eine politische Feststellung des (pauschalen) systematischen Unrechts mit verallgemeinerten Bezügen der Begründung zum Verfahrensrecht, den Grundrechten des Grundgesetzes oder des Rechtsstaatsprinzips zu geben.
Rechtstheoretisch geht es bei diesen Fragen um die Geltung von Rechtsnormen, um den Rechtspositivismus, der rechtliche Beurteilung am vorgegebenen kodifizierten Recht orientiert und sich undurchlässig macht gegenüber außerrechtlichen Prinzipien im Gegensatz zur Lehre vom Naturrecht, die das geltende Recht überpositiven Maßstäben unterordnet (Natur des Menschen, göttliches Recht) und im Gegensatz zur Radbruch’schen Formel, die „unerträglich ungerechte“ Normen auch dann nicht als geltendes Recht betrachtet, wenn sie positiv gesetzt und sozial wirksam sind.
Eine nur rechtsposivistische Herangehensweise an die Beurteilung des Unrechts könnte verdecken, dass
▲ sich die Bundesrepublik Deutschland unter der Geltung des Grundgesetzes ab 1949 als Rechtsstaat verstand, mit dem eine umfängliche, gar systematische Unrechtsbeschreibung unvereinbar wäre;
▲ die Geschichtsschreibung des Nachkriegsdeutschlands mit der Beschreibung der damaligen Heimerziehung in einem ganz wesentlichen Kritikpunkt der studentischen 68er Bewegung Recht geben müsste;
▲ der Vergleich mit früheren anerkannten und kommenden möglichen Opfergruppen in Deutschland als Grenzziehung verstanden werden müsste;
▲ mit dem Umfang des eingeräumten Unrechts damaliger Heimerziehung sowohl der Entschädigungsweg (weg vom individuellen Nachweis des Schadens hin zu pauschalierten Lösungen) präjudiziert als auch der Umfang der staatlichen und kirchlichen Haftungsfolgen insgesamt anwachsen würde.
Rechtliche Bezüge im Zwischenbericht des RTH
Ohne Frage hilft das Recht im ersten Schritt, die Suche nach der Unrechtsbeschreibung zu struktuieren. Deutlich macht dies der Zwischenbericht [ vom 22. Jan. 2010 @ rundertisch-heimerziehung.de/documents/RTH_Zwischenbericht_000.pdf (MM) ] unter dem Punkt „Rechtliche Grundlagen und Verantwortlichkeiten“, der insbesondere eine differenzierte Prüfungsfolge entwickeln will. Differenziert wird für den rechtlichen Prüfungsauftreag des RTH zwischen den „Wegen ins Heim” (Zuständigkeiten, Verantwortllichkeiten), der „Durchführung der Heimerziehung“ (Wer hatte das Erziehungsrecht? Welchen Umfang und Inhalt hatten die Erziehungsrechte nach dem Inhalt des abgeschlossenen Erziehungsvertrages) und der „Kontrolle bezüglich des Fortbestandes der Einweisung und Durchführung“ (behördliche und gerichtliche Kontrolle über Fortbestand der Fürsorgeerziehung, Funktionieren der Heimaufsicht, Anordnungen des Vormundschaftsgerichts nach § 1666 BGB, Rolle von Pflegern und Vormündern). An diese Struktuierung der rechtlichen Prüfung knüft dieser Teil des Zwischenberichts erste vorsichtige Vermutungen des Unrechts und Beurteilungsmaßstäbe:
▲ Grund für die Hilfe in Form der Heimunterbringung sei regelmäßig der Ausfall oder das Versagen der Eltern und/oder die Verhütung oder Beseitigung von „Verwahrlosung“ gewesen.
▲ Auf den Wegen ins Heim seien die rechtlichen Voraussetzungen nicht im Einzelfall vom Vormundschaftsgericht geprüft worden. Zielführend sei allein die Antragstellung ohne Anhörung der Betroffenen gewesen, obwohl die Heimunterbringung nach damaligem Recht nur zulässig gewesen wäre, wenn sie einem festgestellten Erziehungsbedarf entsprochen hätte.
▲ Es sei erkennbar, dass zur Umgehung des vorgeschriebenen Verfahrens und Rechtsschutzes die betroffenen Minderjahrigen über die „vorläufige Fürsorgeerziehung“ untergebracht wurden (gegebenenfalls auch mehrfache Anordnung der vorläufigen Fürsorgeerziehung).
▲ Entscheidender Maßstab für die Unterbringung in einem Heim und ihre Durchführung habe die Verhältnismäßigkeit sein müssen. Die Unterbringung in einem bestimmten Heim hätte geeignet, erforderlich und angemessen sein müssen, um das betroffene Kind angemessen zu pflegen und zu erziehen, damit das Kind vor „Verwahrlosung“ bewahrt oder einer Kindeswohlgefährdung begegnet worden wäre.
▲ Ein Heim habe nur dann als „geeignet“ gelten können, wenn es über ein nach den Maßstäben der Zeit geeignetes pädagogisches Konzept, über geeignetes Personal,
über eine auch für damalige Verhältnisse angemessene sachliche und personelle Ausstattung verfügte.
▲ Bei der Heimerziehung seien die – auch strafrechtlich relevanten – Grenzen des Erziehungsrechts einzuhalten gewesen.
▲ Eine wirksame staatliche Heimaufsicht habe es nicht gegeben; es sei zu vermuten, dass dies auch für bau-, hygienische- und gesundheitsrechtliche Aspekte, Fragen der Gewerbeaufsicht sowie für die Dienst- und Fachaufsicht gegolten habe.
Für das „System Heimerziehung“ hat der Zwischenbericht mit den vorgenannten rechtlichen Aspekten einige gravierende Feststellungen zum Unrecht der damaligen Heimerziehung angesprochen (insbesondere Anhörungs- und Verfahrensmängel) und weitere Kriterien zur weiteren Prüfung (inbesondere zur Frage der Verhältnismäßigkeit des Übermaßverbotes) formuliert. Aber zu einer der zentralen Fragen, ob bei der damaligen Heimerziehung die strafrechtlich relevanten Grenzen des Erziehungsrechts eingehalten wurden und was im „System Heimerziehung“ an systematischen Unrecht geschah, fehlen (noch) die rechtlichen Beurteilungen des Rechts beziehungsweise des Unrechts.
Was macht das Unrecht der damaligen Heimerziehung „systematisch“?
Systematisches entsteht wenn es ein ordnendes Prinzip gibt. Je mehr Opfer erlittenen Unrechts sich an die Öffentlichkeit wenden, je mehr diese Leidbeschreibungen der Opfer erkennen lassen, dass ihnen „etwas gemein“ ist, etwas Struktuelles anhaftet, desto naheliegender stellt sich die Frage nach dem Systematischen des von den Opfern erlebten Unrechts, desto absurder erscheint die Bagatellisierung auf Einzelfälle, auf nur einzelne Heime des Unrechts. Denkbar ist, dass die öffentliche Fremdversorgung von Kindern und Jugendlichen in Heimen der Fürsorgeerziehung in der Zeit von 1949 bis 1975 rechtswidrig funktionierten und damit der grundgesetzliche Rechtsstaat ein teilweises Unrechtssystem beherbergte.
Es ist daher nach der für eine Systembeschreibung infrage kommenden ordnenden Prinzipien des (teilweisen) Unrechtssystems zu fragen, die all diesen Beschreibungen von Unrecht in Einzelfällen übergreifend als quasi Überdeterminismus eigen sind. Gemeint ist, ob es Kategorien gibt, das Leid der ehemaligen Heimkinder auf eine bestimmte Weise zu ordnen und zu klassifizieren, die Dinge also nicht als unvergleichbar nebeneinander zu stellen, sondern ihre Gemeinsamkeiten zu beschreiben.
Das Unrechtssystem der Heimerziehung in den Jahren von 1949 bis 1975 funktionierte in der BRD laut unzähliger autobiographischer Berichte, vorliegender Forschungsprojekte nach meiner Einschätzung systematisch ganzheitlich, weil
▲ hundertausende betroffene Kinder und Jugendliche zwangsweise und ohne wirksamen Rechtsschutz in kirchlichen und staatlichen Heimen untergebracht ihrer Freiheitsrechte in aller Regel unberechtigt beraubt wurden;
▲ ein diese zwangsweisen Unterbringungen deckendes behördliches und gerichtliches System nicht als Schutz der Grundrechte der untergebrachten Minderjährigen funktionierte;
▲ die Unterbringungen der Minderjährigen nicht regelmäßig auf ihre rechtliche Zulässigkeit überprüft wurden und über einen ungewissen jahrelangen Zeitraum andauerten. Die durchschnittliche Heimaufenthaltsdauer betrug drei Jahre, fand aber auch vom Säuglingsalter bis zur Volljährigkeit statt;
▲ die betroffenen Minderjährigen einer strafenden von Gewalterfahrungen geprägten, demütigenden und somit die humanistischen Erziehungsansprüche missachtenden Heimordnung unterworfen wurden;
▲ weil Heime somit Orte der Verursachung zumeist lebenslangen Leids waren und in keiner Weise Schutzräume zur Hilfe von Minderjährigen;
▲ eine gewaltgeprägte Heimordnung in doppelter Hinsicht „umfassend geschlossen“ funktionierte: Im Inneren als totale Institution, die die Persönlichkeitsrechte der Minderjährigen einer rigiden und repressiven Heimordnung unterwarf und damit humanistische Erziehungsansprüche bewußt außer Kraft setzte, im Äußeren durch ein aufeinander aufbauendes System an zunehmender Gewaltandrohung und -ausübung in Heimen als sogenannte Endstationen (des Systems). Ein Teil dieser Systematik der Heimerziehungspraxis war auch die gewollte generalpräventive Wirkung, die darin bestand, junge Menschen und deren Eltern zur Anpassung an diese inhumanen Vorstellungen von Zucht und Ordnung mit der von dieser Heimerziehungspraxis ausgehenden Drohung aufzufordern und die unangepassten Minderjährigen anderenfalls wegen angeblich drohender Verwahrlosung „ins Heim zu stecken“.
Aus den wesentlichen Gründen dieser Unrechtsbeschreibung komme ich aus rechtlicher Sicht zu überdeterminisierden Gemeinsamkeiten:
▲ Kinder und Jugendliche wurden von den an der Fürsorgeerziehung Beteiligten nicht als Subjekte der Menschenwürde mit eigenen freiheitlichen Grundrechten nach dem seit 1949 geltenden Grundrecht verstanden.
▲ Einfachgesetzliche Schutzvorschriften im Verfahren und im Rechtsschutz wurden zu lasten der ehemaligen Heimkinder im Zusammenspiel aller an der Einweisung und Durchführung der Fürsorgeerziehung beteiligten Institutionen ignoriert beziehungsweise umgangen.
▲ Nach der Radbruch’schen Formel hatte das Züchtigungsrecht kein Rechtfertigungsgrund für vorsätzliche Körperverletzungen durch das Betreungspersonal nach § 223 StGB sein dürfen.
▲ Umfassend wurde das auf Menschenwürde und dem Recht auf Persönlichkeitsentwickelung beruhende grundgesetzliche Erziehungsrecht der Kinder und Jugendlichen in der Fürsorgeerziehung auf unverhältnismäßige Weise unter Verletzung des Rechtsstaatsprinzipes des Übermaßverbotes des Grundgesetzes verletzt.
▲ In Betracht kommt ferner eine Verletzung des Instituts der freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung durch die rechtsschutzlose, faktisch geschlossene Unterbringung von Kindern und Jugendlichen im Auftrag des Staates.
Das Institut der „freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung“
Das Bundesverfassungsgericht hatte sich in dem Beschluss vom Mai 2009 3 mit dem Sachverhalt zu befassen, dass sich der 1955 geborene Beschwerdeführer von 1962 bis 1967 in der Heimerziehung und anschließend zwangsweise bis 1972 in verschiedenen Einrichtungen der ehemaligen DDR befand ( BverfG, 2 BVR 718/08 ). Zunächst beantragte der Beschwerdeführer seine Rehabilitierung wegen der Unterbringung in zwei Jugendwerkhöfen, die ihm mit Beschluss des Kammergerichts Berlin vom 15.12.2004 gewährt wurde [ Urteil wiedergegeben @ heimkinder-ueberlebende.org/Urteil_Kammergericht_Berlin-Moabit_-_15.12.2004_-_Geschlossene_Unterbringung_in_der_DDR.html (MM) ].
Im Dezember 2006 beantragte der Beschwerdeführer [ Ralf Weber ( MM ) ] beim Landgericht Magdeburg seine Rehabilitierung bezüglich der übrigen Unterbringung in Kinderheimen der DDR. Dieser Antrag wurde vom Landgericht Magdeburg und der weiteren Beschwerdeinstanz des Oberlandesgerichts Naumburg zurückgewiesen. Die 2. Kammer des 2. Senats des Bundesverfassungsgerichts hob den Beschluss des OLG Naumburg auf und verwies ihn zur erneuten Entscheidung zurück, weil die Entscheidung den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs.1 in seiner Ausprägung als Willkürverbot verletzt. Die durch das OLG Naumburg vorgenommene enge Auslegung, nur Maßnahmen, die durch eine strafrechtlich relevante Tat veranlasst worden seien, könnten nach dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) rehabilitiert werden, würde verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht standhalten. Diese Auslegung des § 2 StrRehaG sei sinnwidrig und führe im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal der „Unvereinbarkeit mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Grundordnung“ in § 1 Abs. 1 StrRehaG auch über den Wortlaut des Gesetzes hinaus zu einer unzulässigen Beschränkung der Rehabilitierung von Freiheitsentziehungen auf Fälle, denen eine von der Justiz der DDR als strafrechtlich relevant eingeordnete Tat zugrunde gelegen hat. Eine solche Auslegung durch das OLG Naumburg kann schon deshalb nicht richtig sein, weil damit die gesetzgeberische Absicht zunichte gemacht wurde, Freiheitsentziehungen auch außerhalb eines Strafverfahrens und über Einweisungen in psychiatrische Anstalten hinaus rehabilitierungsfähig zu machen. 4
Auch wenn mit diesem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts der Fall des Beschwerdeführers nicht abschließend und auch (noch) nicht zu seinen Gunsten entschieden wurde, auch wenn aus dem Beschluss selbst kein pauschaler Entschädigungsanspruch für ehemalige Heimkinder ableitbar ist, so ist mit dem Beschluss durch das Bundesverfassungsgericht unmissverständlich festgelegt worden, dass in jedem Einzelfall von den Rehabilitierungsgerichten geprüft werden muss, ob und inwieweit eine Unterbringung in Heimen der ehemaligen DDR als Freiheitsentziehung zu werten und die Einweisung mit wesentlichen Grundsätzen einer „freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung“ vereinbar ist.
Damit hat das Bundesverfassungsgericht einen für die gesamte Bundesrepublik Deutschland geltenden Maßstab der unveräusserlichen freiheitlichen Rechtsstaatlichkeit gesetzt, der unter der Geltung des Grundgesetzes für die Beurteilung der Heimerziehung in den Jahren von 1949 bis 1975 unbedingte Geltung beantsprucht. Neben der allgemeinen Bedeutung dieses Grundsatzes ist auf die Einschlägigkeit seiner Anwendung im Kontext der damaligen Heimerziehung einzugehen.
Allgemein hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zum Parteienverbot der SRP 1952 deutlich gemacht, dass zu einer freiheitlichen und rechtsstaatlichen Ordnung mindestens zu rechnen ist: „die Achtung vor dem im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, […],, die die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte […].“ 5 Zur rechtsstaatlichen Komponente dieser Grundsätze des Bundesverfassungsgerichts zählt insbesondere die Verhältnismäßigkeit und die Rechtsweggarantie nach Art. 19 Abs. 4 GG. Die Verhältnismäßigkeit als eine materielle Komponente des Rechtsstaatsbegriffs dient dem Schutz vor übermäßiger oder unangemessener Beeinträchtigung der Rechte des Einzelnen. Eine staatliche Maßnahme ist nur dann verhältnismäßig, wenn sie einen legitimen Zweck verfolgt. Das ist nur der Fall, wenn die staatliche Maßnahme
▲ geeignet ist, das heißt, die Erreichung eines Zwecks muss bestimmt werden beziehungsweise möglich sein, dieser Zweck muss jedoch rechtlich legitim sein;
▲ erforderlich ist, das heißt, wenn es kein milderes Mittel gibt, das zum gleichen Erfolg führen würde;
▲ angemessen ist, das heißt, dass der Erfolg, auf den abgezielt wird, nicht außer Verhältnis zur Intensität des Eingriffs stehen darf.
Ferner gehört zur rechtsstaatlichen Grundordnung die Rechtswegganrantie des Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes, die allen Bürgerinnen und Bürgern das Recht zur Aufrufung staatlicher Gerichte und damit einen effektiven Rechtsschutz verbürgt. Dazu zählt die Verpflichtung der Gerichte, angefochtene Entscheidungen Entscheidungen in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht vollständig nachzuprüfen. Dieses Grundrecht entfaltet seine Wirkung auch auf das Verwaltungsverfahren. Schon die Behörde hat demnach im Verfahren so zu handeln, dass das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz im Weiteren nicht beeinträchtigt wird.
Funktionieren diese den Rechtsschutz garantierenden Verfahrensgrundsätze, wie etwa das Recht auf Anhörung nach Art. 103 GG und das Recht auf gerichtliche Überprüfung belastender staatlicher Maßnahmen nach Art. 19 Abs. 4 GG, nicht und ist infolge der Maßnahme der öffentlichen Gewalt ein Schaden oder sonstiger Nachteil entstanden, dann hat – quasi als sekundärer Rechtsschutz – der Staat nach den Grundsätzen des Staatshaftungsrechts den Schaden auszugleichen.
Das Bundesverfassungsgericht befrasst sich im hier besprochen Beschluss mit der Heimeinweisung und bezieht sich dabei auf die tatsächlichen Feststellungen des Einweisungsgrundes für die öffentliche Heimerziehung. Wenn die Rechtsfolgen durch die Art der Unterbringung in einem groben Missverhältnis zu dem zugrunde liegenden Einweisungsgrund stehen, sind sie rehabilitierungsfähig. Aus dem Wortlaut des Beschlusses sowie aus den daraus folgenden Implikationen lassen sich für die Feststelling des „groben Missverhältnisses einer Heimerziehung“ mehrere grundsätzliche, rechtsstaatlich geprägte Grenzziehungen annehmen:
▲ Das System öffentlicher Heimerziehung hat nicht einem willkürlichen Ausgrenzungsbegeben des Staates zu dienen, sondern einem Erziehungsauftrag zu folgen, dem „Recht auf Erziehung“ der Kinder und Jugendlichen, welcher Maßstab für die Beurteilung der Heimeinweisung sein soll.
▲ Die Heimeinweisung muss zum Einweisungsgrund verhältnismäßig sein, da sie sonst rechtsstaatwidrig ist. So darf eine Heimeinweisung nicht erfolgen, wenn erhebliche Erziehungsschwierigkeiten tatsächlich nicht festgestellt wurden.
▲ Selbst bei festgestellten Erziehungsschwierigkeiten muss die „Art der Unterbringung“ dem Anlass entsprechend angemessen sein, darf die Heimeinweisung nur als ultima ratio in Betracht kommen.
▲ Die Heimerziehungspraxis darf keine Freiheitsentziehung für die Heimkinder beinhalten, die nicht unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten gerichtlich als verhältmäßig geprüft und genehmigt wurde.
Schlussfolgerungen für die rechtlichen Beurteilungen des RTH
Nun fragt sich wie der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts mit den ermittelten Inhalten zu den Maßstäben einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung auf das bisherige Zwischenergebnis der Unrechtsbeurteilungen des RTH zu beziehen ist. Der Zwischenbericht formuliert erste Einschätzungen des erlittenen Unrechts ehemaliger Heimkinder und Maßstäbe für die weitere rechtliche Beurteilung. So heißt es, auf den Wegen ins Heim seien die rechtlichen Voraussetzungen nicht im Einzelfall vom Vormundschaftsgericht geprüft worden, maßgeblich sei allein die Antragsstellung ohne Anhörung der Betroffenen gewesen, obwohl die Heimunterbringung nach damaligem Recht nur zulässig gewesen wäre, wenn sie einem festgestellten Erziehungsbedarf entsprochen hätte. Es sei auch erkennbar, dass die betroffenen Minderjährigen zur Umgehung des vorgeschriebenen Verfahrens und Rechtsschutzes über die „vorläufige Fürsorgeerziehung“, gegebenenfalls auch durch die mehrfache Anordnung der vorläufigen Fürsorgeerziehung untergebracht wurden. Der entscheidende Maßstab für die Unterbringung in einem Heim und ihre Durchfuhrung hatte aber die Beachtung der Verhältnismäßigkeit sein müssen. Danach könne ein Heim nur als „geeignet“ gelten, wenn es über ein nach den Maßstäben der Zeit geeignetes pädagogisches Konzept, über geeignetes Personal, über eine auch für damalige Verhältnisse angemessene sachliche und personelle Austattung verfügte. Insbesondere hatten die auch strafrechtlich relevanten Grenzen des Erziehungsrechts eingehalten werden müssen. Eine wirksame staatliche Heimaufsicht habe es nicht gegeben. Es sei zu vermuten, dass dies auch für bau-, hygiene- und gesundheitsrechtliche Aspekte, Fragen der Gewerbeaufsicht sowie für die Dienst- und Fachaufsicht gegolten habe.
Deutlicher würde ich bewerten, dass die Heimeinweisungen von Kindern und Jugendlichen in der Zeit von 1949 bis 1975 in den alten Bundesländern insbesondere aber die vorläufige Anordnung der Fürsorgeerziehung eine weitgehend willkürliche und rechtsschutzlose Verfügung war, deren Begründung nicht dem gesetzlichen Maßstab einer an Menschenwürde ausgerichteten Auslegung des Rechts auf Erziehung nach § 1, Abs. 1 Jugendwohlfahrtsgesetz entsprach und deren Aufrechterhaltung (unter Umständen vom Säugling bis zum Volljährigen) regelmäßig unüberprüft blieb. Evident Unrecht war der jahrelange Heimalltag für fast alle Minderjährigen durch repressive Erziehungsmethoden, körperliche Strafen und übermäßige Züchtigung, haftähnliches Wegsperren sowie erzwungene überharte Erwerbsarbeit. Unter diesen grundsätzlichen Gesichtspunkten war die Heimeinweisung und die freiheitsentziehende beziehungsweise -beschränkende Praxis der Heimerziehung regelmäßig eine Verletzung der seit 1949 mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes geltenden wesentlichen Grundsätze einer „freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung“.
Hätte das Bundesverfassungsgericht in den 1950er- bis 1970er Jahren mit den im Beschluss vom 13. Mai 2009 angewendeten Grundsätzen zu urteilen gehabt, hätten fast alle Fürsorgeheime aus den genannten Gründen geschlossen und die Untergebrachten aus Gründen des Staatshaftungsrechts entschädigt werden müssen.
Anmerkungen
1 „Empfehlung des Petitionsausschusses in seiner Sitzung am 26.1.2008 zur Petition die Situation von Kindern und Jugendlichen in den Jahren 1949 bis 1975 in der Bundesrepublik Deutschland in verschiedenen öffentlichen Erziehungsheimen betreffend“, Beschluss vgl. lfd. N. 1 der Sammelübersicht 16/495, BT-Drs. 16/11102
2 Funktion beziehungsweise Funktionalität bezeichnet hier die Wirkung eines Sozialen Elements, welches einen Beitrag leistet zur Erhaltung und Integration eines bestimmten Systemzustandes (vgl. Mues u.a. 2004, S. 8-12)
3 BVerfG, 2 BVR 718/08 vom 13.5.2006, Absatz-Nr. (1-28 ).
bverfg.de/entscheidungen/rk20090513_2bvr071808.html
4 1994 wurde das StrRehaG vom Gesetzgeber auf alle Freiheitsentziehungen außerhalb des Strafverfahrens erweitert.
5 BverfGE 2, 1 - SRP-Verbot
Literatur
AGJ - Arbeitsgemeinschaft für Kinder und Jugendhilfe: Zwischenbericht des Runden Tisches „Heimerziehung in den 50er und 60er Jahren“. Berlin 2010. In: [ dem 47-seitigen RTH-Zwischenbericht (MM) ] @ rundertisch-heimerziehung.de/documents/RTH_Zwischenbericht_000.pdf (Abruf am 22.2.2010 [Peter Schruth]) [Abruf am 27.02.2012 (MM)]
Mues, Andreas; Pfister, Annegret; Scholz, Christiane; Stuth, Stefan: Neuere Ansätze in der Sozialisationsforschung, Berlin, S. 8-12
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