Entschädigung für Ex-Heimkinder - Beratungsstelle in Wiesbaden eingerichtet
09.01.2012 - WIESBADEN
Von Birgit Emnet
Sie wurden in Heimen misshandelt, erniedrigt, sexuell missbraucht, zur Zwangsarbeit herangezogen. Jahrzehnte nach ihrer damals erlittenen Pein stellt der Staat für ehemalige Heimkinder der 50er bis 70er Jahre jetzt Hilfsgelder zur Verfügung. Die Betroffenen können seit 1. Januar Anträge auf Entschädigung stellen. Auf die rehabilitativen und finanziellen Hilfen hatten sich Fachleute im Jahr 2010 am Runden Tisch Heimerziehung verständigt.
Ziel ist Linderung von Leid
Im Entschädigungsfonds stehen insgesamt 120 Millionen Euro zur Verfügung, die jeweils zu einem Drittel von Bund, Ländern und Kommunen sowie katholischer und evangelischer Kirche und deren Wohlfahrtsverbänden und den Orden aufgebracht werden. Das Land Hessen beteiligt sich mit 2,47 Millionen Euro, wie Sozialminister Stefan Grüttner mitteilt. Außerdem sei die Landesregierung mit den hessischen Kommunen in Gesprächen über deren Beteiligung mit 1,23 Millionen Euro. „Hier können wir bereits erste positive Signale verbuchen“, so Grüttner. Der vom Bundestag eingerichtete Runde Tisch Heimkinder hatte eine Beteiligung der Kommunen an den Entschädigungen empfohlen.
Mit dem Geld sollen ehemalige Heimkinder unterstützt werden, die spezielle Hilfen benötigen, weil sie bis heute unter den Folgen der Heimerziehung leiden. In den westdeutschen Heimen lebten nach Expertenschätzungen zwischen 1949 und den 70er Jahren zwischen 700.000 und 800.000 Kinder und Jugendliche, rund 30.000 könnten anspruchsberechtigt sein.
Beratungsstellen haben zusätzlich eine Lotsenfunktion
Zum 1. Januar 2012 hat das Land Hessen regionale Anlauf- und Beratungsstellen bei den sechs hessischen Ämtern für Versorgung und Soziales, Darmstadt, Frankfurt, Wiesbaden, Fulda, Gießen und Kassel, eingerichtet. Hier können bis zum 31. Dezember 2014 Anträge auf Rentenersatzleistung und Leistungen aus dem Fonds für Folgeschäden aus der Heimerziehung der 50er bis 70er Jahre gestellt werden.
Werner Meinhardt betreut die Wiesbadener Anlaufstelle. Vier Anträge sind bisher bei ihm eingegangen, zunächst noch telefonisch. Meinhardt, der zuständig für den Einzugsbereich Wiesbaden, Rheingau-Taunus- und Main-Taunus-Kreis, aber auch Rüsselsheim ist, sagt, der derzeitige Wohnort sei ausschlaggebend für die Antragstellung, nicht der Standort des früheren Heimes. Die nun eingerichteten Anlauf- und Beratungsstellen des Landes haben zusätzlich eine Lotsenfunktion und beraten die Betroffenen, ob für sie auch andere Hilfen infrage kommen, auch unterstützen sie bei der Aktensuche und Akteneinsicht.
Rentenansprüche errechnen
So holt Meinhardt nach der telefonischen Kontaktaufnahme beispielsweise die jeweiligen Heim-Akten über die Landeswohlfahrtsverbände ein. „Wir bieten ein Beratungsgespräch oder auch mehrere. Dabei soll sich herauskristallisieren, wie wir vorgehen.“ Die Betroffenen sind heute zwischen 50 und 70 Jahre alt, oft traumatisiert, ein hoch sensibler Personenkreis, mit dem Meinhardt zu tun hat. Die Möglichkeiten zur Linderung erlittenen Leids sollen gemeinsam gefunden und, wenn es überhaupt noch geht, Folgeschäden aufgearbeitet werden. Das können Therapiestunden sein, es kann auch beispielsweise ein VHS-Kursus Malerei sein, es können auch andere Sachleistungen sein, „das ist individuell verschieden“, so Meinhardt, der auch die Renten-Ersatzleistungen berechnen hilft. Wer damals im Heim ohne Lohn zwangsweise arbeiten musste, konnte keine Ansprüche erwerben, das soll ausgeglichen werden.
Die Leistungen aus dem Entschädigungsfonds für Folgeschäden sind auf maximal 10.000 Euro taxiert, wie Meinhardt berichtet, und sollen in erster Linie für Sachleistungen verwendet werden. Die nächsten Fonds aber seien am Start: Die Opfer sexuellen Missbrauchs sollen gesondert entschädigt werden, ebenfalls noch nicht im aktuellen Fonds enthalten sind die ehemaligen DDR-Heimkinder.
Es gibt übrigens auch Kritik am Vorgehen und den Ergebnissen des Runden Tisches: Der Verein ehemaliger Heimkinder (VEH) stellt Entschädigungsforderungen in Milliardenhöhe und lehnt den Entschädigungsfonds von Bund, Ländern und Kirchen ab. Knapp 400 Opfer wollten stattdessen klagen, teilt der Verein mit, um eine höhere Entschädigung zu erstreiten.
Quelle : Wiesbadener Kurier