Autor: Sascha Knapek 16. Juni 2011 10:00 Uhr
Jürgen Beverförden erzählt von seiner Kindheit mit psychischem und physischem Missbrauch Im Säuglingsheim fing alles an
Bramsche. Seine Kindheit verbrachte Jürgen Beverförden (Jahrgang 1944) in verschiedenen Osnabrücker Kinderheimen. Mit den Folgen des psychischen und physischen Missbrauchs, dem er dort ausgesetzt war, hat er bis heute zu kämpfen.
Beim Treffen des „Gesprächskreises SPD und Kirchen“ in Bramsche erzählte der 66-Jährige von seinem Schicksal und seinen Bemühungen um die Aufarbeitung der Geschehnisse und eine gerechte Entschädigung der damaligen Opfer.
Im Säuglingsheim fing die Leidensgeschichte von Jürgen Beverförden an. Seine Mutter hatte das uneheliche Kind dort hingebracht, weil sie in Irland ein neues Leben beginnen wollte. Was der Junge, dem schnell der Stempel „Zappelphilipp“ anhaftete, dort erleiden musste, quält den studierten Sozialpädagogen bis heute. „Mit Mullbinden wurde ich ans Bett oder beim Essen an den Tisch angebunden. Die dazugehörigen Prügel gab es dann vom Hausmeister im Keller“, erzählte der heutige Sprecher der ehemaligen Heimkinder in Niedersachsen.
Die psychischen und physischen Qualen, die Beverförden damals erleiden musste, merkte man dem 66-Jährigen während seines Vortrags immer dann an, wenn ihn die Schilderungen zu sehr in die Vergangenheit versetzten. Das überforderte Personal nahm Beverförden dabei größtenteils von seiner Kritik aus. „Die Rahmenbedingungen und die festgefahrenen Ideologien in den kirchlichen Häusern waren schuld an den Zuständen“, sagte er.
Nach einer Bäckerlehre konnte Beverförden das Leben im Heim, dank der Hilfe seines Vormunds, hinter sich lassen. Über Berlin kam der Osnabrücker nach Hamburg und Bielefeld, wo er mithilfe eines Stipendiums der Friedrich-Ebert-Stiftung studierte. Zusammen mit anderen Betroffenen sorgte Beverförden dann vor ein paar Jahren dafür, dass die Debatte um die Schicksale der Heimkinder landes- und bundesweit auf die Tagesordnung gesetzt wurde. Der Sozialpädagoge saß sowohl am niedersächsischen als auch am bundesdeutschen „Runden Tisch“ und vertrat die Interessen der ehemaligen Heimkinder.
Mit den Abschlussberichten der beiden Gremien ist Beverförden dennoch unzufrieden. „Ich muss mich heute noch schämen, dass ich dem Abschlussbericht auf Bundesebene zugestimmt habe. Aber der Druck, dass sonst niemand von uns etwas bekommen würde, war zu groß“, sagte Beverförden.
Auch zur aktuellen Entschädigungsdebatte äußerte er sich kritisch. Die angedachten 100 Millionen Euro für Therapien seien keine gute Lösung. 90 Prozent der ehemaligen Heimkinder wollten, laut einer internen Umfrage, derartige Behandlungen, die eine so langwierige Auseinandersetzung mit der Vergangenheit zur Folge hätten, nicht. „Es geht uns um eine angemessene Entschädigung, je länger man das hinauszögert, umso mehr ehemalige Heimkinder sterben“, mahnte Beverförden. Als er mit seinen bewegenden Schilderungen am Ende war, meldete sich ein Leidensgenosse und erzählte seine Geschichte, die ihn in den 50er- und 60er-Jahren ebenfalls in einige Kinder- und Erziehungsheime in der Region Osnabrück führte. Wie man als Geschädigter an seine Akte käme und welche Chancen man bei der Suche hätte, fragte der Mann. „Ich helfe Dir, dass wir Deine Akte finden“, versprach Beverförden und machte damit eines deutlich: Die Abschlussberichte der auf Landes- und Bundesebene abgehaltenen „Runden Tische“ mögen vorliegen, aber die Arbeit um Aufklärung und Entschädigung ist für die ehemaligen Heimkinder der 50er- und 60er-Jahre noch lange nicht vorbei.
Quelle:Neue OZ-Osnabrücker Zeitung