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Täterschutz mit System – Sexueller Missbrauch in Katholischer Kirche Deutschland
RELIGION - 14:30 28.09.2018 (aktualisiert 16:17 28.09.2018 )
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Andreas Peter [ Profil: https://de.sputniknews.com/authors/andreas_peter/ ]
Die Römisch-Katholische Kirche in Deutschland befindet sich in der wohl größten Krise ihrer Geschichte. Die Deutsche Bischofskonferenz hat in Fulda eine Studie vorgelegt, die jahrzehntelangen sexuellen Missbrauch durch tausende kirchliche Würdenträger sowie systematische Vertuschung und weitgehende strafrechtliche Nichtverfolgung belegt.
Studien und Gutachten sind immer ein zweischneidiges Schwert. Einerseits sind sie eine komprimierte Informationsquelle für ein ganz bestimmtes, oft komplexes Thema. Andererseits ist entscheidend, wer den Auftrag für eine Studie erteilt, welche Zielstellung er damit verfolgt und welche Datenbasis dafür zur Verfügung steht. Spätestens hier muss auf den wesentlichen Makel der nun vorgelegten Studie der Deutschen Bischofskonferenz hingewiesen werden [ Siehe @ https://www.dbk.de/fileadmin/r…018/MHG-Studie-gesamt.pdf (Umfang: 3.9 MB; insgesamt 366 Seiten) ].
Die Gutachter hatten keinen freien Zugang zu den Archiven der 27 deutschen Bistümer. Sie mussten Fragebögen an die Archivare senden. Dort durchforsteten Rechercheteams die Akten, anonymisierten sie und füllten dann die Fragebögen aus. Aus diesen Daten lässt sich nicht nachvollziehen, welcher Kirchenmitarbeiter in welchem Bistum wann welchen sexuellen Missbrauch an welchen Betroffenen begangen hat und wie die Kirche darauf reagiert hat.
Basisdaten-Probleme
Die Probleme gingen bereits mit den Basisdaten los. Der Auftrag lautete, alle Missbrauchsfälle in der Römisch-Katholischen Kirche Deutschlands zwischen 1946 und 2014 einschließlich Beschuldigten, Betroffenen, Reaktionen und Konsequenzen der Kirche zu ermitteln, zusammenzufassen und zu bewerten. Darüber hinaus sollten Handlungsempfehlungen an die Deutsche Bischofskonferenz gegeben werden.
Selbst Laien wird schnell klar, welche Herkulesaufgabe das gewesen ist. Man kann sich vorstellen, dass die Zahl der kirchlichen Mitarbeiter in diesem langen Zeitraum – immerhin 68 Jahre – beträchtlich gewesen sein muss. Die Römisch-Katholische Kirche meldete [ Die Römisch-Katholische Kirche meldete … Siehe @ https://www.dbk.de/fileadmin/r…er-Eckdaten-Bistuemer.pdf ] für das Jahr 2017, trotz anhaltend großer Austrittszahlen, immer noch einen Mitgliederbestand von 23,3 Millionen Menschen. Das sind rund 28 Prozent der deutschen Wohnbevölkerung. Sie werden nach Angaben der Bischofskonferenz in 10.191 Pfarreien und anderen Seelsorgestellen betreut. Die Katholische Weltkirche gilt dabei gemeinhin als beeindruckend gut organisiert und verwaltet.
Fragwürdige Aktenhandhabung
Umso fassungsloser waren die Forscher aus Mannheim, Heidelberg und Gießen, als sie feststellen mussten, dass von einer wirklich vorbildlichen und einheitlichen Archivierung in den 27 Bistümern Deutschlands keine Rede sein kann. In den Archiven fanden sich 38.156 Personalakten. Doch die Bistümer mussten einräumen, dass diese Akten nicht einmal den lebenden Personalbestand korrekt abbilden. Insbesondere erlebten die Wissenschaftler immer wieder, dass gerade Akten, die Beschuldigte betreffen, in geheimen und gesondert archivierten Handakten ablegt wurden und werden. Es gab keine einheitlichen Archivierungsfristen. Viele Akten erwiesen sich als vernichtet, unvollständig oder sogar manipuliert.
Die Erhebung der Basisdaten – Statistiker nennen das Grundgesamtheit – wurde auch dadurch beeinträchtigt, dass die Mehrheit der Mitarbeiter der zahlreichen katholischen Orden nicht einbezogen werden konnte, weil sie nicht Teil des Verbandes der Diözesen Deutschlands (VDD) sind.
„Diözese“ ist ein anderes Wort für Bistum. Der VDD ist der Rechtsträger der Deutschen Bischofskonferenz, die den Auftrag für die Studie erteilt hat. In die Studie fanden lediglich solche Ordensangehörige Eingang, die sich in einem sogenannten Gestellungsauftrag mit einem deutschen Bistum befanden und befinden und von denen eine Personalakte oder eine andere relevante Unterlage in den Archiven der Bistümer existiert.
Viele Archive nur ab 2000 geöffnet
Als sei das alles nicht schon hinderlich und ärgerlich genug, mussten die Forscher auch noch damit leben, dass nur zehn der 27 Bistümer ihre Archive für den gesamten Untersuchungszeitraum öffneten, obwohl sich alle Bistümer zur Mitarbeit an der Studie verpflichtet hatten. Die 17 anderen Bistümer lieferten dennoch nur Informationen ab dem Jahr 2000. Das Forscherteam notiert deshalb auch lakonisch:
„Vollständigkeit des Aktenbestandes nicht gewährleistet, Kriterien der Durchsicht standardisiert, Aktendurchsicht und Dokumentation von Diözesanpersonal und nicht vom Forschungsprojekt vorgenommen, Grad der Vereinheitlichung über Diözesen hinweg fraglich, Variation der Selektion von Fällen, Beschuldigten und Betroffenen über Diözesen hinweg nicht ausschließbar.“
(MHG-Studie, Seite 26, Teilprojekt 6, Auswahlkriterien und Selektionsmechanismen)
Irgendwann entschlossen sich die Wissenschaftler, die bereits erwähnten 38.156 vorhandenen Personalakten als Grundgesamtheit anzusetzen, obwohl allen klar war, dass diese Zahl nicht die korrekte Zahl der kirchlichen Beschäftigten im Untersuchungszeitraum darstellt. Zusammen mit Strafakten und anderen Unterlagen konnten die Wissenschaftler dennoch eine Datenbasis erstellen, die letztlich zu einem Befund führte, der Gänsehaut verursacht.
3677 Missbrauchsfälle durch 1670 Kirchenmitarbeiter
Demnach wurden 1670 Kirchenmitarbeiter identifiziert, denen mindestens 3677 Missbrauchsfällen zugeordnet werden konnten. Die Studie legt schon wegen der unvollständigen Datenbasis Wert auf die Feststellung:
„Diese Zahl stellt eine untere Schätzgröße dar; der tatsächliche Wert liegt aufgrund der Erkenntnisse aus der Dunkelfeldforschung höher.“
(MHG-Studie, Seite 5, A.2 Zentrale empirische Befunde aus den Untersuchungen, Zahl der beschuldigten Kleriker)
Aus der Kriminologie und Sexualforschung ist schon lange bekannt, dass das sogenannte Dunkelfeld bei sexuellem Kindesmissbrauch deutlich größer ist als das sogenannte Hellfeld, also diejenigen Straftäter, die Polizei, Justiz und Medizinern überhaupt bekannt werden. Das machten die Forscher auch an einem kleinen Rechenbeispiel für ihre Studie deutlich.
Dunkelfeld vermutlich größer
Die Katholische Kirche gewährt allen Betroffenen von sexuellem Missbrauch eine Entschädigung, die in bestem Bürokratendeutsch „Leistungen in Anerkennung des Leids, das Opfern sexuellen Missbrauchs zugefügt wurde“ heißt [ Siehe @ https://www.dbk.de/fileadmin/r…ungen_handschriftlich.pdf (Umfang des Antragsformulars: insgesamt 8 Seiten) ]. Die Forscher gingen routinemäßig auch die Anträge auf diese Leistungen durch und verglichen sie mit Personalakten von Beschuldigten. Dabei stellten sie fest, dass die Beschuldigungen nur in der Hälfte der Fälle Eingang in die Personalakten fanden. Die Studie kommt deshalb zu dem unmissverständlichen Schluss:
„Damit wäre die Hälfte aller Fälle im Rahmen einer reinen Personalaktendurchsicht ohne die aktive Antragstellung der Betroffenen zu ‚Leistungen in Anerkennung des Leids, das Opfern sexuellen Missbrauchs zugefügt wurde‘, nicht entdeckt worden. Dies gibt einen Hinweis auf das Ausmaß des anzunehmenden Dunkelfelds.“
(MHG-Studie, Seite 5, A.2 Zentrale empirische Befunde aus den Untersuchungen, Zahl der beschuldigten Kleriker)
Betroffene leiden oft ein Leben lang
Das Ausmaß der gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Betroffenen ist dagegen klar im Hellfeld. Die Betroffenen leiden mitunter lebenslang an den Folgen des oft mehrfachen Missbrauchs. Neben körperlichen Beschwerden sind es vor allem psychische Symptome, die Lebensplanung und Lebensführung der Betroffenen häufig irreversibel beeinträchtigen. Das reicht von Depressionen und Angst-, Schlaf- und Essstörungen über Suizidgedanken, Vermeidungs- und selbstverletzendes Verhalten bis hin zu Alkohol- und Drogenkonsum. Naheliegenderweise geht das oft einher mit Problemen in Ausbildung und Beruf bis hin zur Berufsunfähigkeit und Verarmung. Auch soziale Verarmung ist eine Spätfolge von sexuellem Missbrauch. Betroffene berichten häufig über zum Teil massive Probleme in Partnerschaften und Beziehungen sowie generell im Sozialverhalten.
Den meisten Nichtbetroffenen ist das ganze Ausmaß [ Siehe @ https://www.charite.de/service…sich_in_der_hirnstruktur/ ] dieser Spätfolgen von sexuellem Missbrauch oft nicht klar. Die Beschuldigten lassen häufig Empathie für die von ihnen geschädigten Betroffenen vermissen. Sie sind oft weder in der Lage noch bereit, sich zu entschuldigen. Das verletzt die Betroffenen zusätzlich. Und die Reaktionen der Katholischen Kirche als Dienstherrin der Beschuldigten tragen dazu bei.
Verdacht auf Pädophilie oder Homosexualität
Ebenso unklar sind in der Öffentlichkeit die Zusammenhänge von zwei Erkenntnissen der Studie, die zwei besonders herausstechende Gruppen von Beschuldigten betreffen. Hier werden gern vorschnelle Pauschalisierungen vorgenommen, die aber nur bedingt weiterhelfen, um das Phänomen und Faktum des sexuellen Missbrauchs an Kindern und Jugendlichen in der Katholischen Kirche hinreichend plausibel zu erklären.
Zum einen ergaben die Untersuchungen der Akten, dass bei 28,3 Prozent der ermittelten Beschuldigten Hinweise auf eine pädophile Neigung vorhanden sein könnten. Wichtigstes Kriterium für diese Vermutung – denn nichts weiter als eine Vermutung stellt dieser Wert dar – ist die Tatsache, dass bei den erwähnten 28,3 Prozent jeweils mindestens zwei Betroffene zugeordnet werden konnten, die jünger als 13 Jahre waren. Ein gültiges alleiniges Diagnosekriterium für Pädophilie [ Siehe @ https://www.kein-taeter-werden…hilie-und-hebephilie.html ] ist das allerdings nicht. Jedem Sexualwissenschaftler würden die Haare zu Berge stehen, wenn das so in der Studie gestanden hätte. Allerdings wurde eine beinah identisch hohe Vermutungsrate (28,2%) innerhalb eines anderen Teilaspektes der Studie angegeben. Das wollten die Forscher nicht als Zufall abtun, selbst wenn die deutliche Mehrzahl der Beschuldigten keine solche sexuelle Präferenz aufweist.
Zum anderen ergab die Auswertung des Datenbestandes, dass in zwei Teiluntersuchungen der Studie vergleichsweise hohe Prozentwerte (14,0 und 19,1) registriert wurden, die auf homosexuelle Neigungen von Beschuldigten hinweisen. Das haben die Forscher deshalb für erwähnenswert gehalten, weil in einer Vergleichsgruppe „Schulen“ nur 6,4 Prozent der Beschuldigten eine homosexuelle Präferenz äußerten. Der Unterschied ist offenkundig und erklärungsbedürftig.
Begünstigt die Kirche sexuellen Missbrauch?
Die statistischen Hinweise auf pädophile und homosexuelle Neigungen könnten mit einer anderen Erkenntnis der Studie in Zusammenhang stehen. Hingewiesen wird dort auf strukturelle Besonderheiten der Römisch-Katholischen Amtskirche, die möglicherweise sexuellen Missbrauch begünstigen. Von den 1670 Beschuldigten waren 1429 Priester – das sind mehr als 85 Prozent aller ermittelten Beschuldigten. Rechnet man noch die 159 Beschuldigten hinzu, die als „Ordenspriester im Gestellungsauftrag“ in den Bistümern tätig waren oder sind, dann erhöht sich der Priesteranteil an den Beschuldigten auf sage und schreibe 95 Prozent. Nur 24 der Beschuldigten waren hauptamtliche Diakone, und bei 58 konnte der Status nicht (mehr) ermittelt werden.
Dass die überwältigende Mehrheit der identifizierten Beschuldigten Priester waren oder sind, kann kein Zufall sein. Deshalb drängte sich eine Schlussfolgerung der Studie regelrecht auf. Die Wissenschaftler äußerten den Verdacht, dass der sogenannte Zölibat einen bedeutenden Einfluss auf das Sexualverhalten der Priester hat. Denn im Gegensatz zu Diakonen schreibt die Zölibats-Regel den Priestern ein Leben in sexueller Enthaltsamkeit und Ehelosigkeit vor. Schon seit langem wird das von vielen Wissenschaftlern, aber auch Theologen als mindestens lebensfern charakterisiert, weil es die soziobiologischen Bedürfnisse von Menschen ignoriert. Die Studie bemerkt deshalb:
„Auch wenn die Verpflichtung zum Zölibat sicherlich keine alleinige Erklärung für sexuelle Missbrauchshandlungen an Minderjährigen sein kann, legt der Befund nahe, sich mit der Frage zu befassen, in welcher Weise der Zölibat für bestimmte Personengruppen in spezifischen Konstellationen ein möglicher Risikofaktor für sexuelle Missbrauchshandlungen sein kann.“
(MHG-Studie, Seite 12, A.3 Kontextualisierung der Befunde im Hinblick auf spezifische Strukturen und Dynamiken der katholischen Kirche im Verantwortungsbereich der Deutschen Bischofskonferenz, Zölibat)
Zieht die Katholische Kirche bestimmte Männer an?
Die katholische Kirche als männerdominierte Religionsgemeinschaft mit einer mindestens ambivalent zu nennenden Sexualmoral könnte der Studie zufolge vor allem Männer anziehen, die „sexuell unreif“ sind oder ihre eigene sexuelle Präferenz ablehnen. Solche Männer würden deshalb dazu neigen, in vermeintlich klare Regeln und Strukturen zu flüchten, die ein Ausleben dieser Präferenz vermeintlich verhindern. Daneben gebe es einen Männertypus, der sehr genau erkenne, dass die speziellen Strukturen und Gegebenheiten der Katholischen Kirche ein verdecktes Ausleben ihrer sexuellen Präferenz eher befördern als verhindern.
Die Römisch-Katholische Kirche findet eine erneute Grundsatzdebatte über Sinn und Unsinn des Zölibats unerfreulich, wie gequälte Wortmeldungen aus der Bischofskonferenz verdeutlichen. Sie hat erst 2011 eine entsprechende Diskussion mehr schlecht als recht abwürgen können. Wovor sich die Kirche jedoch nicht mehr drücken kann, ist ein Umgang mit Beschuldigten und Betroffen.
Nachsichtiger Umgang mit Beschuldigten
In dieser Hinsicht fallen die Befunde und Bewertungen der Studie eineindeutig aus. Den Betroffenen wurde durch die Katholischen Amtsträger aller Hierarchiestufen über Jahrzehnte hinweg nicht zugehört, nicht geglaubt, nicht geholfen. Ganz im Gegensatz zu den Beschuldigten. Hier stellt die Studie ein erschütterndes Maß an Nachsicht, Milde und Gnade fest, inklusive Wegsehen, Vertuschen, Verheimlichen und Abwiegeln. Die Vernichtung und Manipulation von Akten wurde bereits erwähnt.
Die Studie belegt, dass über die Hälfte (53 Prozent) der Beschuldigten ohne ein kirchenrechtliches Verfahren davonkame. Wenn es um Strafanzeigen geht, fällt das Fazit sogar noch ernüchternder aus. Mehr als 60 Prozent der Beschuldigten mussten keine Strafanzeige ihrer Dienstherrin fürchten. Erschütternd ist auch, dass die Römisch-Katholische Amtskirche in Deutschland jahrzehntelang in geradezu fahrlässiger Weise Beschuldigte innerhalb der Bistümer versetzte, ohne die neuen Gemeinden über Gründe für Versetzungen zu informieren. Das Risiko für Wiederholungstaten ist entsprechend hoch.
Zwiespältige Reaktionen unter Katholiken
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Marx, Erzbischof von München und Freising, zeigte sich zerknirscht und beschämt. Direkte Verantwortung wollte er aber nicht übernehmen. Dabei hätte er die Macht für sehr symbolische Schritte, die nicht einmal seinen Rücktritt erfordern, wie auf der Pressekonferenz in Fulda vorgeschlagen wurde. Marx könnte einfach jene Untersuchung endlich öffentlich machen, die unter Verschluss ist und die das Ausmaß von Kindesmissbrauch im Erzbistum München und Freising offenbart. Im Raum steht der Verdacht, die Geheimhaltung hänge damit zusammen, dass kein Geringerer als der emeritierte Papst Benedikt XVI. involviert sein könnte. Als Kardinal Ratzinger war er immerhin zwischen 1977 und 1982 Amtsvorgänger von Kardinal Marx.
Richtiggehend irritierend sind aktuelle Verlautbarungen, die vom derzeit amtierenden Oberhaupt der Katholischen Weltkirche im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch zu vernehmen sind. Auf dem Rückweg von einer Pastoralreise in die baltischen Staaten äußerte sich Papst Franziskus zu den Vorwürfen und Vorfällen gegen die Kirche [ Siehe @ https://www.domradio.de/themen…ch-und-abkommen-mit-china ]. Sie seien zwar „monströs“. Andererseits sollte solch früheres Fehlverhalten nicht ausschließlich nach heutigen Maßstäben bewertet werden. Früher seien solche Übergriffe und Gewaltakte überall verschwiegen worden, auch und vor allem in den Familien.
Ex-Kurienbischof greift Papst frontal an
Wie sehr die weltweiten Missbrauchsvorwürfe die Katholische Kirche in ihrem Selbstverständnis erschüttert haben, versinnbildlicht ein geradezu atemberaubender Vorgang, der so noch vor kurzem vollkommen undenkbar gewesen wäre. Kein Geringerer als der ehemalige Botschafter (im vatikanischen Sprachgebrauch Nuntius genannt) des Vatikans in den USA, Erzbischof Carlo Maria Viganò [ Siehe @ https://www.nytimes.com/2018/0…-vigano-pope-francis.html ], beschuldigte den amtierenden Papst, den wegen sexuellen Missbrauchs bereits kirchenrechtlich durch Papst Benedikt verurteilten ehemaligen Erzbischof des Bistums Washington und Newark in den USA, Kardinal Theodore McCarrick, ohne Not rehabilitiert zu haben.
Dass sich der Papst überhaupt dazu geäußert hat, spricht Bände über den enormen Druck, der auf ihm und der Weltkirche lastet. Auf seinem Rückflug von einer Pastoralreise nach Irland am 26. August 2018 beantwortete Papst Franziskus für alle überraschend eine Frage zu diesen schweren Vorwürfen. Es war ihm anzumerken, wie verletzt, verunsichert, wütend er über diesen Vertrauensbruch eines Mitarbeiters ist, den er immerhin persönlich mit ausgewählt hat. [ Franziskus antwortete … Siehe @ http://press.vatican.va/conten…blico/2018/08/27/0597.pdf ] Franziskus antwortete mehr als kryptisch:
„Lesen Sie es selbst sorgfältig und bilden Sie sich Ihr eigenes Urteil. Ich werde kein einziges Wort dazu sagen. Ich glaube, das Memo spricht für sich selbst, und Sie sind als Journalisten in der Lage, Ihre eigenen Schlüsse zu ziehen. Dies ist ein Akt des Vertrauens: Wenn eine Zeit verstrichen ist und Sie Schlussfolgerungen gezogen haben, werde ich vielleicht sprechen. Aber ich bitte Sie, dass Sie Ihre berufliche Reife dafür verwenden: es wird Ihnen gut tun, wirklich. Das ist genug für jetzt.“
(Bollettino N. 0597, Sala Stampa Della Santa Sede, 27.08.2018, in Englisch, Seite 15, 5. Absatz)
Seither äußert sich Papst Franziskus zu diesem Thema nicht mehr. Erst vor wenigen Tagen hatte er sich zu den Missbrauchsvorwürfen gegen die Katholische Kirche im Allgemeinen geäußert. Gleichzeitig fuhr er einem Journalisten über den Mund, der ihn erneut zum Vorgang McCarrick/Viganò befragen wollte.
Sollen Vorwürfe die Kirche als Gesellschaftskritiker ausschalten?
Interessanterweise gibt es auch Mutmaßungen, die weltweiten Vorwürfe wegen sexuellen Missbrauchs in der Katholischen Weltkirche seien Teil einer Kampagne, um die Römisch-Katholische Kirche als gesellschaftskritische Stimme mundtot zu machen. Natürlich wurde das umgehend als Verschwörungstheorie niedergemacht. Angesichts der Ungeheuerlichkeiten, die die jahrzehntelangen sexuellen Übergriffe gegen Minderjährige innerhalb der Kirche darstellen, angesichts des Leids, das sie verursacht haben, angesichts der empörenden Nichtachtung der Betroffenen durch die Katholische Kirche, ist eine solche Betrachtung des Gesamtkomplexes natürlich sehr heikel und zieht sofort den Verdacht des Zynismus auf sich.
Aber es ist zumindest interessant, dass die Missbrauchsvorwürfe zum ersten Mal wirklich ernsthaft und schmerzhaft verfolgt wurden, als US-Behörden der Katholischen Kirche strafrechtlich und vor allem finanziell zu Leibe rückten. Unklar bleibt dabei, wie es sein kann, dass die gleichen US-Behörden jahrelang den gleichen Hinweisen und Vorwürfen ausdrücklich nicht nachgegangen sind. In dem Zusammenhang rückt die Tatsache in den Fokus, dass der Vatikan unter Papst Johannes Paul II. eine unheilige Allianz mit dem damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan einging, gegen die Sowjetunion und ihren Herrschaftsbereich zu kämpfen.
Obwohl Johannes Paul II. nachgewiesenermaßen besonders die US-amerikanische Ausprägung des Finanzkapitalismus verabscheute, war sein fanatischer Antikommunismus bedeutend größer. Das hatte er mit einigen Päpsten der Neuzeit gemein. Über Jahre wurden US-amerikanische Dollar-Millionen mit Hilfe vatikanischer Kanäle zum Beispiel in die polnische Solidarnosc-Bewegung gelenkt.
Aber es ist zumindest interessant, dass die Missbrauchsvorwürfe zum ersten Mal wirklich ernsthaft und schmerzhaft verfolgt wurden, als US-Behörden der Katholischen Kirche strafrechtlich und vor allem finanziell zu Leibe rückten. Unklar bleibt dabei, wie es sein kann, dass die gleichen US-Behörden jahrelang den gleichen Hinweisen und Vorwürfen ausdrücklich nicht nachgegangen sind. In dem Zusammenhang rückt die Tatsache in den Fokus, dass der Vatikan unter Papst Johannes Paul II. eine unheilige Allianz mit dem damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan einging, gegen die Sowjetunion und ihren Herrschaftsbereich zu kämpfen.
Obwohl Johannes Paul II. nachgewiesenermaßen besonders die US-amerikanische Ausprägung des Finanzkapitalismus verabscheute, war sein fanatischer Antikommunismus bedeutend größer. Das hatte er mit einigen Päpsten der Neuzeit gemein. Über Jahre wurden US-amerikanische Dollar-Millionen mit Hilfe vatikanischer Kanäle zum Beispiel in die polnische Solidarnosc-Bewegung gelenkt.
Wegen der enormen finanziellen Bedeutung der US-Bistümer für die Gesamtfinanzen des Vatikans hat das auch Auswirkungen auf die Weltkirche. Der Papst wirkt wegen der anhaltenden Missbrauchsdebatte deutlich gehemmt. Unabhängig davon, ob die aktuelle Missbrauchsdebatte vorsätzlich derart lanciert wurde, wird es für den amtierenden Papst nicht mehr so leicht sein, die bisher flammenden Appelle gegen Armut und Ausbeutung, Flucht und Vertreibung in dieser Art glaubwürdig zu wiederholen.
Nur ein Seitenaspekt: Missbrauch in der DDR
Die Studie der Deutschen Bischofskonferenz beleuchtet nur am Rande die Lage der Katholischen Kirche in der DDR. Der Untersuchungszeitraum der Studie umfasst die gesamte Existenzdauer des zweiten deutschen Nachkriegsstaates. Der Begriff DDR taucht auf den 356 Seiten der Studie ganze drei Mal auf: Einmal im Abkürzungsverzeichnis, einmal in einer „Übersicht über die ausgewerteten Studien zum sexuellen Missbrauch an Minderjährigen in nicht-katholischen Institutionen“ (MHG-Studie, Seite 217, Tabelle 5.4.) und zum dritten Mal im Literaturverzeichnis, wo die in der Tabelle aufgeführte Studie „Spezialheime der DDR-Jugendhilfe“ von 2013 aufgelistet wird.
Die Bischofskonferenz verweist darauf, dass das Bistum Magdeburg zu jenen zehn Bistümern gehört, die die Archive für den gesamten Untersuchungszeitraum öffneten. Deshalb könne man durchaus davon sprechen, dass die DDR mit berücksichtig wurde.
Sonderfall: Bistümer in der DDR
Dazu muss man allerdings wissen, dass das Bistum Magdeburg in dieser Form erst seit 1994 besteht. In der DDR war Magdeburg Teil der katholischen Diaspora und hatte den Status eines Erzbischöflichen Amtes und später eines Bischöflichen Amtes. 1990 wurde es schließlich zu einer Apostolischen Administratur erhoben. Das ist eine besondere Form der Verwaltung in der Katholischen Kirche, wenn eine „normale“ Organisation vor Ort nicht gewährleistet werden kann. Ein Apostolischer Administrator hat die gleichen Rechte wie ein Bischof. Die eigentliche Gerichtsbarkeit untersteht aber meistens direkt dem Papst.
Es gab mehrere solcher typisch vatikanischen Lösungen: in Schwerin, Erfurt und Görlitz. Hintergrund dieser Einrichtung ist die Tatsache, dass der Vatikan die DDR zu keinem Zeitpunkt ihrer Existenz als souveränen Staat anerkannte. Andeutungen von dahingehenden Überlegungen waren aus dem Vatikan nur vor Johannes Paul II. zu vernehmen gewesen. Dies konnte mit inzwischen freigegebenen Akten und entsprechenden Buchveröffentlichungen belegt werden.
Sonderbeziehungen zwischen DDR und Vatikan
Bis zum Ende der DDR weigerte sich Rom auch, die Bistumsgrenzen an die Grenzen der DDR anzupassen. Durch die deutsche Zweistaatlichkeit lagen auf einmal Teile westdeutscher Bistümer auf DDR-Hoheitsgebiet. Magdeburg gehörte beispielsweise zum westdeutschen Bistum Paderborn. Der Erzbischof von Berlin, der seinen Sitz in Ostberlin hatte, war auch für Westberlin zuständig, was vor allem nach dem Mauerbau zu fortwährenden Schwierigkeiten führte. Immerhin aber akzeptierte die DDR, dass Theologen an den Universitäten des Vatikans studieren durften. Die DDR akzeptierte auch, dass die Päpste letztlich die Bischöfe ernannten, wenn auch nach einem Listenvorschlag der jeweiligen Domkapitel. Die Historiker stellen heute einigermaßen erstaunt fest, dass die DDR trotz der ideologischen Starrköpfigkeit der DDR-Führung die liberalste Haltung und den entgegenkommendsten Umgang mit der Katholischen Kirche im gesamten ehemaligen Ostblock pflegte.
Ob sich das auch auf die Zahlen des sexuellen Missbrauchs in Katholischen Kirchen und Einrichtungen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR ausgewirkt hat, lässt sich nicht sagen. Denn die Datenbasis ermöglicht leider auch hierüber keine Aussage.
Quellen:
Die „MHG-Studie“ [ Siehe @ https://www.dbk.de/fileadmin/r…018/MHG-Studie-gesamt.pdf (Umfang: 3.9 MB; insgesamt 366 Seiten) ]
Antrag auf Entschädigung als Betroffener sexueller Gewalt [ Siehe @ https://www.dbk.de/fileadmin/r…ungen_handschriftlich.pdf (Umfang des Antragsformulars: insgesamt 8 Seiten) ]
Der Bundesbeauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs [ Siehe @ https://beauftragter-missbrauch.de/ ]
Das Präventionsprojekt „Kein Täter werden“ [ Siehe @ https://www.kein-taeter-werden.de/ ]
Das Präventionsprojekt für Jugendliche [ Siehe @ https://www.du-traeumst-von-ihnen.de/ ]
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