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Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz --- Bonn, den 13. Sept. 2006
BEREICH KIRCHE UND GESELLSCHAFT
Warscheinliche Fragen an die Kirche mit Bezug zur Problematik der ehemaligen Heimkinder und Antworten (im Sinne von Sprachregelungen im kirchlichen Bereich)
1.) Sind in katholischen Heimen der Jugendhilfe in der Nachkriegszeit Misshandlungen oder Missbrauch vorgekommen?
Die kirchlichen Heime in der Nachkriegszeit hatten das Ziel, Kindern und Jugendlichen zu helfen. Sie boten eine Unterstützung, die damals sonst kaum von anderen Einrichtungen angeboten wurde. Viele der ehemaligen Heimkinder sind dankbar für diese Hilfe, die sie in diesen Heimen erfahren haben.
In diesen Heimen hat es offenbar auch einzelne Mitarbeitende gegeben, die körperliche Gewalt bzw. Züchtigung als Mittel der Erziehung über das damals Übliche hinaus eingesetzt haben. Es ist nicht auszuschließen, dass es hier zu Fehlverhalten einiger Erzieherinnen oder Erzieher gekommen ist. Diese Fälle müssen – soweit noch feststellbar – aufgearbeitet werden. Wenn solche Gewalt stattgefunden hat, ist sie nicht zu entschuldigen. So weit es möglich ist, wird jeder Einzelfall mit der nötigen Sorgfalt und Sensibilität von der jeweiligen Einrichtung gemeinsam mit den betroffenen Personen aufgeklärt.
2.) In wie vielen Fällen haben sich bisher ehemalige Heimkinder mit der Bitte um Aufarbeitung, Entschuldigung oder mit der Forderung nach Entschädigung an die Katholische Kirche gewandt?
Zahlen darüber, wie viele ehemalige Heimkinder in Kontakt mit ihren früheren Heimen stehen, liegen nicht vor.
Heime im Bereich der Katholischen Kirche waren in den 1950er, 60er und 70er Jahren vielfach in Trägerschaft von Kirchengemeinden, Stiftungen, kirchlichen Vereinen und Ordensgemeinschaften. In einigen Fällen waren Ordensfrauen oder -Männer auch in Heimen in kommunaler Trägerschaft tätig. Katholische Heime sind heute im Bundesverband katholischer Einrichtungen und Dienste der Erziehungshilfen e. V. (BVkE) zusammengeschlossen, der ein Fachverband des Deutschen Caritasverbandes ist.
Laut BVkE gab es 1950 730 Einrichtungen der stationären Jugend- und Erziehungshilfe mit 55.127 Plätzen in Trägerschaft der deutschen Caritas. In ihnen waren 13.991 Kräfte tätig, darunter 7.991 Ordensleute. 1960 waren 705 Einrichtungen mit 51.574 Plätzen, von den 12.505 Beschäftigten waren 6.241 Ordensleute. 1970 befanden sich noch 567 Einrichtungen mit 43.742 Plätzen in kirchlicher Trägerschaft, unter den 13.371 Beschäftigten waren noch 5.126 Ordensleute. Im Vergleich zu diesen Zahlen sind die bisher bekannt gewordenen Vorwürfe gegen katholische Heime bzw. damals dort Beschäftigte zahlenmäßig sehr gering. [ Hervorhebungen – MM ]
3. Waren die Kinder und Jugendlichen in den kirchlichen Erziehungsheimen auch als Arbeitskräfte eingesetzt? Sollte ihnen diese Zeit als sozialversicherungsrechtlich relevante Zeit anerkannt werden?
In den damaligen Heimen waren Kinder und Jugendliche nicht als Arbeitskräfte eingesetzt. Es war jedoch üblich, dass die in den Heimen lebenden jungen Menschen in der Garten- und Landwirtschaft mitgeholfen haben. Das entsprach in aller Regel dem Maß, wie es zu dieser Zeit auch in Familienhaushalten üblich war.
In den damaligen Erziehungsheimen, in denen Jugendliche untergebracht waren, gab es eine Arbeitstherapie. Das Ziel war, Jugendliche (ab 14 Jahren) zu helfen, einen Arbeitsplatz zu bekommen bzw. ihren Arbeitsplatz behalten zu können. Damit diese Arbeitstherapie möglichst realitätsgerecht geschah, wurden auch Aufträge der Industrie ausgeführt.
Im Übrigen zählte damals – auch in Familien – mehr noch als heute die Eingliederung in einen Tagesablauf mit regelmäßigen Arbeitszeiten zu den pädagogischen Mitteln im Rahmen der Erziehung.
Die Heime waren keine Wirtschaftsbetriebe, sie verfolgten vielmehr pädagogische Zwecke, die man heute im Rahmen der Gemeinnützigkeit ansiedeln würde. Die von den jungen Menschen erarbeiteten Erträge dienten ausschließlich der Finanzierung ihres Heimaufenthaltes.
Die Mitgliedseinrichtungen des BVkE stellen – soweit es gewünscht wird – Bescheinigungen über die Zeiten aus, in denen diese Arbeitstherapien stattfanden.
4.) Müsste es nicht eine offizielle Entschuldigung der Katholischen Kirche oder ihrer obersten Repräsentanten bei den betroffenen ehemaligen Heimkindern geben?
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz hat bereits im Juni 2006 d. J. in einem Brief an Herrn Schiltsky, der den „Verein ehemaliger Heimkinder e. V.“ vertritt [ gemeint ist Michael-Peter Schiltsky, der seinerzeit – im Jahre 2006 – als bezahlte Bürokraft den „VEH e.V.“ vertrat – MM ], sein Mitgefühl und Bedauern über das ausgedrückt, was Herr Schiltsky in einem Schreiben aus Februar [ 2006 ] an Kardinal Lehmann vorgetragen hatte. Die von Schiltsky geschilderten Misshandlungen und Demütigungen seien sicher nicht mit dem christlichen Ethos von Fürsorge und Erziehung zu vereinbaren. [ Hervorhebungen und Ergänzungen – MM ]
Kardinal Lehmann hat Herrn Schiltsky jedoch auch gebeten, bei der Beurteilung der damaligen Situation in den Heimen mit zu berücksichtigen, dass die Vorstellungen über die Erziehung von Kindern und Jugendlichen in der Zeit von 1950 bis 1975 weitaus restriktiver und autoritärer waren als heute.
Trotz allem Bedauern über das Schicksal einzelner ehemaliger Heimkinder können weder die Deutsche Bischofskonferenz als Ganze noch Kardinal Lehmann als ihr Vorsitzender eine grundsätzliche Entschuldigung aussprechen. Bei den beschriebenen Misshandlungen und Demütigungen handelt es sich um Verfehlungen einzelner Personen und um das Schicksal einzelner Menschen. Dafür können sich nur die damals Verantwortlichen oder stellvertretend für sie die Leitungen der betroffenen Einrichtungen oder Orden individuell bei den Betroffenen entschuldigen. Misshandlungen und Demütigungen von Kindern in Heimen können keiner Grundhaltung zugeschrieben werden, die durch die Kirche vorgegeben oder die von der Kirche gefordert worden wäre.
5.) Was hat die Kirche oder haben kirchliche Verbände bisher im Sinne der ehemaligen Heimkinder unternommen?
Der Deutsche Caritasverband und sein Einrichtungsfachverband BVkE haben seit dem ersten Bekanntwerden der Vorwürfe mit allen Mitgliedseinrichtungen Vereinbarungen getroffen, dass den ehemaligen Heimkindern in der Aufarbeitung ihrer jeweiligen Lebensgeschichte jede nur mögliche Unterstützung gegeben wird. Dazu gehört, dass ihnen – soweit das Material heute noch vorhanden ist – ihre Akten zur Einsicht oder auch in Kopie überlassen werden.
Verschiedene Einrichtungen innerhalb des BVkE stehen schon länger in Kontakt mit ehemaligen Heimkindern. Konkrete Vorhaben wie Ausstellungen in einzelnen Einrichtungen und Diskussionsrunden kommen hinzu. Die Mitgliedseinrichtungen werden darin bestärkt, Vereinigungen der ehemaligen Heimbewohnerinnen und –bewohner zu fördern. In vielen Einrichtungen bestehen solche Vereinigungen oder es gibt Tage, an denen die Ehemaligen zusammen kommen, oft seit vielen Jahrzehnten. Der BVkE hat dazu Beispiele zusammengestellt. Einzelne Einrichtungen des BVkE haben Publikationen zum Thema erarbeitet. (Beispiele und Publikationen können beim BVkE angefordert werden.)
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