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MIDA Interview: Ein authentischer Anwalt ist glaubwürdig
Jolanta Budzowska sprach mit Dr. Gabriel Lansky, dem langjährigen Aktivisten von Amnesty International, der auch als bevollmächtigter Vertreter in so bekannten Sachen wie die des Schriftstellers Jenö Alpár Molnár [ Ehemaliges Heimkind ], der Natascha Kampusch oder bei der Bergbahnkatastrophe von Kaprun tätig war.
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Was treibt Sie, trotz all dieser Verpflichtungen, juristischer Betreuung laufender Fälle, sich solcher Fälle Pro Bono anzunehmen, wie der Sache von Herrn Molnár?
Ich bin seit 1984 Rechtsanwalt und habe immer auch Pro Bono gearbeitet. Ich bin auch deshalb Anwalt geworden, um Fälle aus dem Bereich der Menschenrechte vertreten zu können. Von Anbeginn meiner Anwaltstätigkeit sind meine anwaltlichen Tätigkeiten nicht auf profitable Leistungen beschränkt. Als Rechtsanwalt realisiert man sich auch durch die Umsetzung höherer Ziele.
Aus den Informationen in der polnischen Presse geht hervor, dass der Fall des Herrn Molnár die Misshandlungen von Kindern durch die Erzieher in österreichischen Kinderheimen in der Nachkriegszeit betrifft. Könnten Sie kurz die Sachlage charakterisieren?
Natürlich. Herr Molnár, Sohn einer Ungarin und eines amerikanischen Besatzungssoldaten wurde im Alter von 10 Monaten von seiner Mutter getrennt und in einem Kinderheim in Oberösterreich untergebracht. Das war eine schlimme Zeit für ihn. Er wurde brutal misshandelt und missbraucht. Zu dieser Zeit verzichteten die Behörden darauf mit seiner Mutter Kontakt aufzunehmen, obwohl sie ihnen bekannt war.
Seine Unterbringung in einem Waisenheim erfolgte gegen den Willen seiner Eltern, die niemand um Zustimmung gefragt hatte. 19 Jahre verbrachte Herr Molnár in fünf Waisenheimen in Oberösterreich, wo er brutal behandelt wurde. Er wurde auch durch andere Heimbewohner vergewaltigt. Er wurde zum Schweigen gezwungen und lebensbedrohlich geschlagen. Herr Molnár ist alleiniger Kläger in dieser Sache, obwohl gleiches Leiden auch andere Heimkinder betrifft. [ Das Ehemalige Heimkind ] Herr Molnár ist alleiniger Kläger in dieser [ in Österreich anhängigen ] Sache, obwohl gleiches Leiden auch andere Heimkinder betrifft.
Bei welchem Gericht ist der Fall anhängig? Wie hoch ist der Streitwert und auf welchem Stand ist die Sache momentan?
Der Streitwert beträgt 1,6 Millionen Euro. Die Sache ist beim Landesgericht Linz anhängig. Im Dezember 2011 fand die erste Verhandlung statt. Das Gericht hat entschieden, den Sachverständigenbeweis zuzulassen.
Im Gerichtsersuchen an den Sachverständigen war eine Beweisthese zur Feststellung enthalten, ob Herr Molnár an einer derartigen posttraumatischen Störung leidet, die dazu führte, dass er wegen seiner psychischen Situation nicht im Stande war zu erkennen, inwieweit bei ihm psychische Veränderungen eingetreten sind. Die Bestätigung dieser Veränderungen als tatsächliche Grundlage wird die Begründung der angemeldeten Entschädigungsansprüche darstellen.
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In einem Ihrer Interviews äußerten Sie sich dahingehend, dass sich das beklagte Bundesland Oberösterreich nicht trauen wird die Verjährungseinrede geltend zu machen. Warum sind Sie dieser Meinung?
Neben der rechtlichen Verantwortlichkeit gibt es auch eine moralische. Ich bin der Ansicht, in einer solchen Sache, in der der Rechtsstaat seit Beginn der fünfziger Jahre nicht imstande war, seinen Aufgaben ordnungsgemäß nachzukommen, muss er seine Verantwortung für die in der Vergangenheit begangenen Taten anerkennen. Es handelt sich um Pflichten einer öffentlichen Verwaltungsbehörde, was nur eine Schlussfolgerung zulässt, dass in dieser Sache sowohl die politische als auch die historische Verantwortung zu berücksichtigen sind.
Wie ist momentan die Rechtsansicht des Landes in dieser Sache? Wie prognostizieren Sie die künftige Entwicklung der Prozesssituation?
Das Bundesland Oberösterreich erhob in der gegenständlichen Sache die Verjährungseinrede. Es steht auf dem Standpunkt, dass die Ansprüche dadurch unbegründet wären, weil die Sache vermeintlich verjährt sei. Das Gericht vertrat jedoch einen anderen Prozessstandpunkt dadurch, dass es das Sachverständigen-Beweismittel zuließ. Dieser Beweis soll unter anderem klären, dass Herr Molnár aufgrund seines psychischen Traumatisierung bisher nicht im Stande war seine Ansprüche zu begründen und zu formulieren, deshalb konnte gemäß § 1494 ABGB eine Verjährungsfrist nicht ihren Lauf nehmen. So wird im Moment die Frage der Verjährungsfrist in gegenständlicher Sache behandelt.
Welche Rechtsgrundlage ergibt sich für Sie und Ihr Handeln?
Die Amtshaftung wird hier aus den allgemeinen Grundsätzen des bürgerlichen Rechts abgeleitet; das ist eine Verantwortung auf Grund von schuldhaftem Verhalten. Die Rechtsgrundlage für Entschädigungsansprüche bildet ein fundamentales Recht, das sich aus den allgemeinen Bestimmungen über unerlaubte Handlungen (Par. 1293 ff des österreichischen Bürgerlichen Gesetzbuches ABGB) ergibt.
Wie lange kann, Ihrer Einschätzung nach, eine zivilrechtliche Sache in erster Instanz wegen Genugtuung dieses Formats andauern?
In dieser Prozessphase ist es sehr schwer, dies genauer einzuschätzen. Das kann ca. zwei, drei Jahre dauern.
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Im Fall Molnár war bis vor kurzem ein bevollmächtigter Vertreter aus Deutschland tätig. Wie ist es eigentlich dazu gekommen, dass nun Sie diese Sache vor Gericht vertreten?
Das ist eine gängige Praxis unter den professionellen Rechtsvertretern im Rechtsverkehr zwischen Österreich und Deutschland. Zur Lösung solcher grenzüberschreitenden Situationen wird ein Einvernehmensrechtsanwalt herangezogen. Bei Verfahren, bei denen eine Partei durch einen professionellen Bevollmächtigten vertreten ist, können europäische professionelle Rechtsvertreter vor dem österreichischen Gericht nur in Kooperation mit einem Rechtsanwalt rechtswirksam auftreten, der im Rechtsanwaltsverzeichnis in Österreich eingetragen ist.
Ein österreichischer „Einvernehmensrechtsanwalt“ ist daher in solchen Fällen notwendig, wenn ein deutscher Rechtsanwalt vor einem österreichischen Gericht als Bevollmächtigter auftreten muss. In dieser Sache handelt es sich um den Rechtsanwalt Robert Nieporte aus Trier. Er war in der Sache in Deutschland tätig und wandte sich an unsere Kanzlei mit einer Frage, ob wir uns dieser Sache einvernehmlich annehmen würden.
Kann der bisherige Bevollmächtigte, der zur Vertretung vor den Gerichten in Deutschland befugt ist, in solchen Fällen, das heißt im Falle des Prozesses vor dem Gericht in Österreich, in Kooperation mit einem österreichischen Anwalt wirksam vor dem Gericht in Österreich handeln?
Er kann rechtswirksam als Bevollmächtigter nur gemeinsam vor dem Gericht auftreten. Auch in dieser Sache handeln wir eben auf diese Art und Weise, wobei der Kollege Robert Nieporte zur wirksamen Vertretung uns als Partner braucht.
Die Sache des Schriftstellers Jenö Alpár Molnár ist zurzeit beim Landesgericht Linz (Bundesland Oberösterreich) anhängig. Der Streitwert dieser Sache wurde mit 1,6 Mio. Euro festgestellt, und zwar als Entschädigung für das psychische Trauma als Folge grausamer Behandlungen in österreichischen Kinderheimen der Nachkriegszeit, in denen Molnár 19 Jahre verbringen musste. Er hat das in seinem Buch “Wir waren doch nur Kinder... Geschichte einer geraubten Kindheit” beschrieben.
Wie sieht die Frage der gegenseitigen Zusammenarbeit aus der Sicht der Berufsethik [aus]?
Die Regeln unserer Standesvertretung stellen in solchen Fällen aus ethischer Sicht kein Problem dar, weil eben die Vorschriften eine solche Situation unmittelbar vorsehen. In dieser konkreten Sache läuft unsere grenzüberschreitende Kooperation auf der Grundlage österreichischer Gesetze ab, die eben genau diese Handlungsweise vorschreiben. („Bundesgesetz über den freien Dienstleistungsverkehr und die Niederlassung von europäischen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten sowie die Erbringung von Rechtsdienstleistungen durch international tätige Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in Österreich (EIRAG)“.
Es handelt sich um eine Vorschrift, die dem Art. 38 des polnischen Gesetzes über Rechtshilfeleistungen ausländischer Rechtsvertreter in der Republik Polen vom 5. Juli 2002 entspricht.
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Gemäß dieser Bestimmung ist ein Rechtsvertreter aus der Europäischen Union verpflichtet, bei grenzüberschreitender Vertretung im Verfahren, in dem nach geltenden Vorschriften die Vertretung durch einen Anwalt oder Rechtsberater gefordert wird, mit einer inländischen Person, die einen dieser Berufe ausübt, zusammenzuarbeiten
(…) – Anm. d. Red.)
Vor der Sache Jenö Molnárs haben Sie schon Mandanten in anderen, sehr bekannten Fällen vor Gericht vertreten, u.a. waren Sie bevollmächtigter Vertreter von Natascha Kampusch und auch von Opfern des Bergbahnbrandes von Kaprun. War die Besonderheit dieser Sachen ausschließlich mit ihrem medialen Ruhm verbunden?
Aus der Rechts- und Prozessperspektive bildete der Casus Herrn Molnárs keinen besonderen Fall – im Vergleich zu anderen Fällen unserer Kanzlei, in denen wir rechtlich beratend tätig waren. Natürlich gehörten die Fälle von Natascha Kampusch und auch die Katastrophe von Kaprun zu denen, in denen unsere Kanzlei gewisser Weise zum Kampf für den Rechtsstaat beigetragen hat.
Auf welchem Rechtsgebiet haben Sie promoviert?
In meiner Studienzeit sah der Lehrplan eine abschließende Defensio des Doktorgrades (Rigorosum) vor, es war hierzu nicht unbedingt eine schriftliche Doktorarbeit notwendig. So war der Titel „Dr. iur.“, im Vergleich zu anderen Ländern, anhand der Berufserfahrung so quasi "mitzunehmen".
Der Name Lansky klingt „östlich“? Gibt es bei Ihnen möglicherweise polnische Wurzeln?
In meinem Fall ist das nicht einfach zu beantworten. Ich bin zum Teil Ungar und zum Teil Tscheche. Ich bin auch teilweise ukrainischer und teilweise semitischer Abstammung. Mein Vater führte ursprünglich den Namen Laszlo. Nach dem zweiten Weltkrieg übte er das Amt eines Richters in der Tschechoslowakei aus.
Als Richter nahm er den Namen Lansky an. In der Zeit direkt nach Einführung der so genannten Benesch-Dekrete hätte die Ausübung eines Richterberufes in der Tschechoslowakei durch eine Person semitischer Abstammung mit dem Namen Laszlo schwierig sein können…
Welche persönliche Eigenschaft ist für einen Rechtsanwalt am wichtigsten? Gibt es Ihrer Meinung nach einen Schlüssel zum Erfolg in diesem Beruf?
Ich glaube, dass dieser Schlüssel Authentizität ist. Man muss seine eigene Persönlichkeit immer in den Vordergrund stellen. In ihr muss man sich selbst suchen und auch finden. Wir müssen keine stereotypen Rechtsanwaltsrollen spielen. Wir müssen so sein, wie wir in Wirklichkeit sind. Wenn jemand authentisch ist, dann ist er auch glaubwürdig!