Ich war in diesem evangelischen Heim von 1968 - 1978.
Die ersten Jahre wurde es noch ev. Waisenhaus genannt, ca. 1971 in ev. Kinderheim und ab ca. 1975 in ev. Kinderheimat umbenannt.
Das Heim hatte mehrere Gruppen : Ulme (Kindergarten), Birke, Tanne, Esche, Gruenschnaebel und Dornröschen, wobei die beiden letztgenannten sich im Haupthaus befanden. Später kam noch eine ausgelagerte Gruppe, die Falken, hinzu.
Geleitet wurde das Heim zuerst von Hans Lenhard. Er stand damals kurz vorm Rentenalter. Wir mussten ihn Vater Lenhard nennen und hatten immer große Angst vor ihm.
Damals war die Pruegelstrafe noch erlaubt. Wer mit mir in dem Heim war, der wird sich erinnern, wie er oft über das Heimgelaende hinkte. Das Hinken kam nicht etwa durch ein körperliches Gebrechen zustande, sondern er steckte seinen Pruegelstock immer in ein Hosenbein, so daß er sich nur hinkend fortbewegen konnte. So ging er dann immer zu der Gruppe aus der die "Meldung" kam.
Ich war von 1968 - 1970 in der Kindergartengruppe. An sich war die Kindergartengruppe kindgerecht eingerichtet. Es gab einen Jungen - und einen Mädchenschlafsaal, einen großen Tagesraum, mit Schränken voller Spielzeug und einen Spielkeller. Vor dem Haus war ein kleiner Spielplatz. Im Sommer wurden Planschbecken aufgestellt. Das Planschen und Spielen draußen gehört mit zu meinen schönsten Kindheitserinnerungen. In der Gruppe lebten ca. 15 - 20 Kinder und wir hatten zwei Erzieherinnen. Eine hatte immer rund um die Uhr Dienst, die andere vom Frühstück bis zum Abendessen. Die ersten Wochen hatte ich ziemlich Heimweh. Ich habe wieder angefangen in die Hose und ins Bett zu machen. Gespielt habe ich auch nicht, ich habe nur am Tisch gesessen und zugeguckt. Das wurde gar nicht gerne gesehen, worauf ich auch öfter zum Spielen gezwungen wurde. Nachmittags mussten wir immer mit einer Erzieherin ellenlange Spaziergaenge unternehmen. Wir mussten dann in 2er Reihen gehen. Wer dies nicht beherrschte kam an eine Leine, so eine Art Hundeleine für Kinder (so was gibt's auch heute noch zu kaufen). An diese kamen vor allem kleinere Kinder, aber auch die etwas unruhigen und zappeligen Kinder. Zu trinken bekamen wir extrem wenig (sicher zum Schutz vor Bettnaessen). Da ich zu den älteren Kindern gehörte, bin ich oft nachts aufgestanden und habe aus dem Wasserhahn getrunken. Ich weiß noch, daß wir im Sommer mal sehr durstig von einem dieser Spaziergänge zurück kamen. Wir fragten, ob wir aus dem Wasserhahn trinken dürften. Als es uns nicht erlaubt wurde, hat einer der Jungen aus der Toilette getrunken. Er wurde daraufhin verprügelt. Diese Art der Bestrafung betraf vor allem auch hyperaktive Kinder und auch einen Jungen, der an Epilepsie litt und der während seiner Anfälle immer geschlagen wurde. Auch Erbrechen und Bettnaessen waren Todsünden.
Sicher, es gab auch schönere Tage, das waren z. B. auch die Geburtstage der Kinder. Die Erzieherin hat dann Lampions aufgehängt und wir haben Spiele gemacht. An Geschenke kann ich mich allerdings nicht erinnern, vielleicht gab es mal ein paar Bonbons.
Ich erinnere mich auch noch daran, dass die Mädchen Sonntags weisse gestärkte Schürzen anbekamen, die selbstverständlich sauber gehalten werden mussten.
1970 kam ich in die Schule und wurde in eine Gruppe mit älteren Kindern (6-14 Jahre) verlegt. Die Gruppe hieß Esche. Dort gab es Vierbettzimmer und genau wie im Kindergarten zwei Erzieherinnen, von denen eine die "Gruppenmutter" war. Die Erzieherinnen wurden auch hier mit Tante angeredet.
Ich habe dort zwar schnell eine Freundin gefunden, aber trotzdem wieder mit Bettnaessen angefangen. Es ging in diesem Haus sehr streng zu.
Es gab häufig Harzer Käse (den ich auch beim besten Willen nicht runterkriegte) "oder auch Brotsuppe zu essen. Die Erzieherin hatte immer ihren Pruegelstock neben sich liegen und überwachte, dass alles auch aufgegessen wurde. Morgens gab es Milchsuppe, ausser mir mochte die, glaube ich, keiner. Manchmal gab es auch Cornflakes. Als Brot gab es nur dünne Schwarzbrotscheiben, die wir auch nicht selbst belegen durften.
Das Heim hatte bis 1972 noch kein Schulgebäude. Die einzelnen Schulklassen waren in verschiedenen Räumen des Heims untergebracht. Meine Schulklasse lag direkt in den Kellerräumen meiner Gruppe. Ich hatte also den kürzesten Schulweg Deutschlands. Die Schultuete zur Einschulung war etwa zu 10 % gefüllt und ich musste den Inhalt mit meinen Gruppenkameraden teilen.
Wenn wir ins Bett gemacht hatten, mussten wir unser Bettlaken selbst auswaschen und zwar immer genau zu der Zeit, wenn die Schule begann. Ich weiß noch, dass es mir nie gelungen ist, dass Laken auf die Leine zu hängen, dazu war ich dann doch noch zu klein. Ich habe das klatschnasse Laken dann einfach irgendwo versteckt. In der Schule mussten wir dann unser Zuspaetkommen vor der Klasse rechtfertigen. Auch keine angenehme Situation. Da waren die Turnbeutelvergesser sicher noch am besten dran.
Im Gegensatz zu den anderen Kinderheim Gruppen, waren wir sehr altmodisch gekleidet. Im Dachgeschoss des Hauses wohnte ein Zwillingspaerchen im Rentenalter, dass für die Näh - und Schneiderarbeiten zuständig war. Die Kleidung wurde von ihnen aus der Spendensammlung für uns passend zurecht geschneidert. Es gab auch eine Kleiderkammer, dort wurden wir 2 x jährlich eingekleidet. Die Mädchen hatten ausserdem die Pflicht, über der Kleidung noch alte Nylonkittel anzuziehen.. Wir sahen aus wie Omas. Den Jungen ging es in der Beziehung besser, sie hatten normale Hosen und Pullover an. Obwohl ich erst 7 Jahre alt war, habe ich sehr darunter gelitten. Ich traute mich manchmal nicht zu Schule und habe mich oft krank gestellt. Ein Junge hat mir mal eins dieser Kleider zerschnitten. Gute Freunde muss man haben! Im Winter trugen wir zum Spielen draußen dunkelblaue Trainingsanzüge ähnlich den heutigen Jogginganzuegen. Sie rochen immer sehr muffig.
Samstags war immer der schlimmste Tag der Woche. Zur Feier des Tages gab es abends 3 pappige halbe belegte Brötchen (natürlich mit Harzer Käse) zu essen. Dabei wurde kein Unterschied zwischen 6-und 14 jährigen Kindern gemacht. Alle bekamen die gleiche Anzahl. Irgendwann wurde ich mutiger und habe die Brötchen in meinen Kitteltaschen versteckt und später weggeworfen. Aber das allerschlimmste waren die Samstagabend - Andachten bei Vater Lenhard. Da mussten sich alle Kinder des Heims in einen Saal versammeln und wir bekamen Bibelunterricht Das war gleichzeitig aber auch Pruegelstunde, bei denen wieder die Kinder besonders betroffen waren, die Probleme mit dem Stillsitzen und dem leise-sein-muessen hatten. Wir wurden natuerlich auch immer daran erinnert, daß wir uns zu entscheiden hatten, ob wir später in den Himmel oder unser restliches Dasein in der Hölle verbringen wollten. Klar in die Hölle wollten wir nicht, aber in den Himmel zusammen mit diesem "Vater"? (Den ich im übrigen zeitweise tatsächlich für Gott gehalten habe) Er hatte die Angewohnheit die Andacht immer mit dem Lied "So nimm denn meine Hände..." zu beenden. Das war sozusagen unser Erloesungslied von diesen Andachten. Mir wird heute noch schlecht, wenn ich mich an diese Zeit erinnere.
Heute trägt eine Schule den Namen des Heimleiters. Ich finde, das ist eine Frechheit.
Irgendwann besserten sich die Verhältnisse im Heim. Die Pruegelstrafe wurde offiziell verboten und wir bekamen altersgemäße Kleidung an. Der Heimleiter und etliche Erzieherinnen verließen das Heim.
Der neue Heimleiter hieß W. Kühn und arbeitete etwa vier Jahre dort.
Zu meinem Pech kehrte 1977 der alte Heimleiter (der Posten wäre sonst unbesetzt geblieben) für ein Jahr zurück, allerdings war er da nicht mehr so mächtig wie früher.
Beiträge von conan
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Im Jahr 1978 kam ich in ein evangelisches Maedchenheim. Einen Monat später starb mein 11 jähriger Bruder, der bei Pflegeeltern aufwuchs, nach 4 jähriger Krankheitsdauer an Leukämie. Mir ging es in dieser Zeit überhaupt nicht gut. Ich kann mich erinnern, dass ich einmal in dem Haus beschriftete Plakate fand, die wohl für die Bibelstunde gedacht waren. Ich habe alle Plakate neu beschriftet. Auf einem stand "Gott ist die Liebe" Das Wort "Liebe" habe ich durchgestrichen und durch das Wort "doof" ersetzt.
Den ersten Lichtblick hatte ich dann nach den Sommerferien. In dem Heim war es Pflicht an einem Beschaeftigungsprogramm teilzunehmen. Zur Auswahl standen Gitarre lernen, Basteln und Tischtennis. Ich habe mich für Tischtennis entschieden. Das fand 2 mal in der Woche statt und ich freute mich darauf. Ich zog mir mein Turnzeug an, das ich auch in der Schule trug. Es bestand aus T-Shirt, Gymnastikhose und Turnschuhen. Das war die übliche Schulsportkleidung. Die Gymnastikhose war schwarz und sah exakt wie die heutigen schwarzen Leggins aus. Daß diese Art von Sportkleidung in dem Heim nicht üblich war, wusste ich nicht. Auf dem Weg zur Tischtennisstunde begegnete mir eine dieser christlichen Erzieherinnen. Sie war empört und fragte :"Du willst doch nicht in diesem nuttenhaften Aufzug dorthin gehen?" Das habe ich damals als sehr verletzend empfunden. Mit dem Satz beförderte sie mich augenblicklich in mein persönliches Totenreich zurück. Ich habe ihr das lange sehr übel genommen.
Wenn ich heute die vielen Mädchen in ihren Leggins sehe, muss ich immer daran denken. Ja, wer haette das gedacht, dass diese Kleidung mal normale Alltagskleidung wird. Manchmal muss ich darüber lachen. Ich habe dann das Gefühl, als würde irgendeine höhere Macht zu mir halten. Leider habe ich das damals nicht so empfunden. -
Ich kann mich noch gut an meine Heimeinweisung erinnern. Ich lebte vom 2. bis zum 4. Lebensjahr bei einer Pflegeoma. Sie hatte ihre drei Enkel, die im gleichen Haus wohnten, tagsüber da und mich Tag und Nacht. Ungefähr ein halbes Jahr bevor ich ins Heim kam, wurde ich von ihr darauf vorbereitet, indem sie es mir als Kinderparadies schmackhaft machen wollte. Für mich war es eine Katastrophe, ich wollte nicht weg von ihr. Ca. einen Monat vor meinem 5.Geburtstag im August 1968 war dann der Tag gekommen. Morgens sollte ich mein Spielzeug in Kartons packen, ich habe mich geweigert, mir war einfach nur schlecht. Meine Mutter, die im gleichen Ort wohnte, kam zu Besuch. Wir gingen spazieren und ich sagte ihr, dass ich heute ins Heim muss. Sie verneinte es, und sagte, sie werde dafür sorgen, dass das nicht geschieht Ich habe mir so im stillen gedacht "Ach Mama wieder, sie kann sowieso nichts tun". Danach ist sie wieder gegangen. Abgeholt wurde ich von meiner Fuersorgerin in einem weißen Käfer. Meine Pflegeoma und ihre dreijährige Enkelin fuhren mit. Die Kleine schenkte mir ihren schönsten Ring. Den wollte sie aber nach kurzer Zeit wieder zurück haben, dafür bekam ich ihren zweitschoensten Ring. Mir war es so egal. Ich hatte eine Puppe auf dem Schoß, die ich noch nie vorher gesehen hatte. Die Fahrt dauerte nicht lange, wir hielten vor einem Kinderheim. Es stellte sich heraus, daß es das falsche war (in dem Ort gab es drei davon). In mir keimte neue Hoffnung auf, ich betete, daß wir es nie finden würden. Nach weiteren 5 Minuten waren wir dann angekommen. Nach der Anmeldung im Haupthaus gingen wir mit dem Heimleiter in die Kindergartengruppe. Ich hatte meinen Roller dabei und meine Oma forderte mich auf ein bisschen darauf zu fahren, um den anderen Kindern zu zeigen wie schön ich Roller fahren kann. Ich wollte nicht. Ich hatte die ganze Zeit nicht geweint, aber als meine Oma sich verabschiedete, da konnte ich nicht mehr. Ich konnte es nicht glauben, dass sie mich einfach so alleine ließ. Mein Spielzeug musste sie auch wieder mitnehmen. Im Tagesraum habe ich mich auf den Boden gesetzt und alles verweigert. Erst hat die Erzieherin versucht mich zu beruhigen. Irgendwann nach ein paar Stunden hat sie mich am Arm gepackt, durch den Raum geschleift und auf einen Stuhl gesetzt. Es gab Abendbrot, aber ich wollte nicht essen. Was mich dann getröstet hat, war das Kinderbett. So eines hatte ich mir immer gewünscht, ein weißes mit Gitterstaeben. Bei meiner Oma hatte ich immer neben ihr im Ehebett geschlafen, während alle anderen Kinder ein Kinderbett hatten. Als Symbol, um mein Handtuch usw. wiederzufinden bekam ich den Schneemann. Er ist bis heute meine Lieblingsfigur.