1. Bröthen
(Auszug aus: Dr. Christian Sachse: Informationen zu Brandenburger Spezialheimen, Arbeits-Fassung: 23. Mai 2012 auf http://www.christian-sachse.de)
Bezirk Cottbus, Kreis Hoyerswerda: Jugendwerkhof (auch: Bröthen-Michalken, Ziegelkombinat Hoyerswerda II)
Der Jugendwerkhof Bröthen, mitunter auch Bröthen-Michalken genannt, wurde im März 1961 in Betrieb genommen.1 Er wurde 1964 in einem Bericht der Staatssicherheit als positives Beispiel erwähnt. Durch eine intensive Arbeit der FDJ und der GST sei es in der letzten Zeit gelungen, die Insassen von Eigentumsdelikten und dem unberechtigten Benutzen von Kraftfahrzeugen abzuhalten.2 Im gleichen Jahr wurde in einer Zusammenstellung von Jugendwerkhöfen eine Kapazität von 30 Plätzen festgestellt. Der Jugendwerkhof sollte in die Verwaltung des Bezirkes Cottbus überführt werden.3 Im Januar 1963 war noch berichtet worden, dass etwa 50 Prozent krimineller Delikte in den DDR-Kreisen von Jugendwerkhöfen ausgegangen war. Dies betraf den Jugendwerkhof Bröthen jedoch ausdrücklich nicht. Im Jahr 1961 waren wegen Entweichens aus dem Jugendwerkhof nur drei Ermittlungsverfahren eingeleitet worden; 1962 war es eins. Als Grund für die im Vergleich mit anderen Jugendwerkhöfen sehr günstigen Zahlen wurde folgendes ausgeführt: Die Arbeitsstelle der Insassen befinde direkt in oder in der Nähe ihrer Einrichtung. Dadurch seien die Insassen leicht unter Kontrolle zu halten. Die Jugendlichen arbeiteten in der dort ansässigen Ziegelei. Als einzig möglicher Ausbildungsberuf wurde der „Ziegeleiberuf“ angeführt. Der Bericht sprach von „bedingten Ausbildungsmöglichkeiten“. Die berufliche Ausbildung sei gewährleistet. Wenig später innerhalb des Berichtes wurde allerdings festgestellt, dass angesichts der räumlichen Situation kein theoretischer Unterricht stattfinden könne. Die Arbeitszeit begann 7 Uhr und endete 16 Uhr. Als Erfolg wurde verbucht, dass die Normzeiten für das Vermauern der Brennkammern auf 20 bis 25 Prozent der ursprünglichen Zeit gesenkt werden konnte. Dies lässt angesichts der Schwere der Arbeit in einer Ziegelei auf ungewöhnlichen Druck schließen, dem sich reguläre Arbeiter widersetzt hätten. Eine sehr ungewöhnliche pädagogische Maßnahme war das Zugeständnis an die Jugendlichen, Motorräder zu besitzen. Die Benutzung wurde allerdings durch den Leiter nur als Belobigung für Wohlverhalten gestattet. Für sonstige Freizeitaktivitäten fehlten die Räume. Trotz eines festgestellten guten Klimas im Jugendwerkhof wurde angesichts der Defizite an Räumlichkeiten diesem Hause auf längere Sicht keine Perspektive eingeräumt.4 Im Mai 1963 befanden sich 27 Jugendliche im Jugendwerkhof. Sie wurden von vier Erziehern betreut. Einer der Erzieher war als Unterstufenlehrer ausgebildet, zwei hatten eine Kurzausbildung durchlaufen, einer verfügte über keine pädagogische Ausbildung.5
Im Herbst 1963 wurde ein Bericht über die Jugendwerkhöfe des Bezirkes Cottbus erstellt. Bröthen wurde dabei als Außenstelle des Jugendwerkhofes Laubusch (s.d.) nur kurz abgehandelt. Zunächst wurde lapidar festgestellt: „Es gibt keine Berufsausbildung, keinen Berufschulunterricht sowie staatspolitische Schulungen.“ Später hieß es, die Jugendlichen würden als volle Arbeitskräfte, als „Hilfsarbeiter für alle Zwecke“ eingesetzt. Die anvisierte Berufausbildung sei nur in der Nachmittagsschicht und ab 1965 nur noch in der Nachtschicht (!) zu realisieren.
Mit der erzieherischen Arbeit nach Feierabend sei es etwas besser bestellt als in Freienhufen. Die Angebote hielten sich jedoch in Grenzen: „Zeitungsschauen, Interessengemeinschaften“. Ihre Unterkunft hatten die Jugendlichen im Rahmen des Nationalen Aufbauwerkes selbst „termingerecht“ auszugestalten und zu verschönern. Die Unterkunft war nichts weiter als eine Baracke, die sich inmitten eines Arbeiterlagers befand. Zu diesen Arbeitern hatten sich rege Kontakte entwickelt. Der Berichterstatter sprach von gegenseitigen Hausbesuchen und Trinkgelagen. Einer der Erzieher witterte in diesen Kontakten politisch nicht gewünschte Beeinflussungen. Er hatte den Eindruck, dass einer der polnischen Gastarbeiter „an den
Putschversuchen in Polen“ teilgenommen hatte. Gemeint waren vermutlich die Unruhen in Polen im Herbst 1956. Kontakte zu Rückkehrern und „Erstzuziehenden“ aus der Bundesrepublik, die ebenso argwöhnisch beobachtet wurden, hatten nach seinen Beobachtungen bisher nicht stattgefunden.
Am Ende des Berichtes wurden einige problematische Mitarbeiter namentlich erwähnt. Über den Erzieher S. hieß es, er sei ein ausgebildeter Berufsschullehrer, der wegen moralischer Verfehlungen unbekannter Art aus der Partei ausgeschlossen und versetzt worden war. Zur Zeit der Berichterstattung war gegen ihn ein weiteres Disziplinarverfahren anhängig. Er habe, so hieß es etwas diffus, die Werkhofleitung unter den Jugendlichen diskriminiert (vermutlich: angeschwärzt).
Die erste Schlussfolgerung, die aus diesem Bericht zu ziehen war, lautete: „1. Durchsetzung der führenden Rolle der Partei.“ Damit waren vermutlich die wenigsten der anstehenden Probleme gelöst. Erst unter Punkt 6 hieß es sehr allgemein: „Durchführung eines Jugendforums in der Außenstelle Bröthen zur Klärung von Fragen des Arbeitseinsatzes und der Entlohnung.“ Hier wäre eine Konferenz der Verantwortlichen sicher angemessener gewesen.6
Im Jahr 1967 wurden weitere Details über den Jugendwerkhof berichtet. Die Kapazität lag weiter bei 30 Plätzen, während die Zahl der Erzieher vermutlich aufgestockt worden war. Neben den vier Erziehern wurde nun auch ein Heimleiter aufgeführt. Es gab keine Lehrer, keine Lehrmeister oder Lehrausbilder im Jugendwerkhof.7 Weiterhin arbeiteten sechs technische Angestellte in der Einrichtung. Es gab weder eine eigene Küche, noch eigene sanitäre Anlagen. Diese mussten gemeinsam mit der Belegschaft des Werkes genutzt werden, in dem die Insassen arbeiteten. Durch einen Anbau, den die Jugendlichen selbst errichteten, wurde der Baracke „ein zur Not für seine Zwecke geeignetes Aussehen gegeben.“ Trotzdem war die Lage laut Bericht weiter beengt. Für 30 Jugendliche gab es nur einen Aufenthaltsraum und den besagten Anbau. Dass die Jugendlichen lediglich als Arbeitskräftereservoir betrachtet wurden, ist dadurch belegt, dass die Ziegelei einfach zehn Insassen die Arbeit kündigte, als ein anderer Betrieb der Ziegelei seine Saisonkräfte anbot. Erst nach dieser Kündigung änderte sich auch die Bewertung der dortigen Berufsausbildung: Sie habe den Jugendlichen keinerlei Perspektive geboten. Die mangelnde Arbeitsmoral der Belegschaft und Saufgelage während der Arbeitszeit hätten sich negativ ausgewirkt. Die Jugendlichen wurden nun notdürftig in einem Forstbetrieb untergebracht. Vorteilhaft erschien nun, dass die Jugendlichen im Wald nicht mehr „dem Einfluss negativer Elemente“ seitens der Ziegeleiarbeiter ausgesetzt waren. Der Heimleiter machte auf die Folgen der Einweisungspolitik aufmerksam. In den Jugendwerkhof wurden auch Jugendliche eingeliefert, deren angemessener Platz auf Grund ihrer Bildungsfähigkeit eigentlich in einer Arbeitstherapie gewesen sei. Derartige Einrichtungen jedoch gab es in der DDR nicht. Die prognostizierte Folge wäre, dass diese Jugendlichen zu kriminellen Handlungen bewegt würden. Die Anstifter kamen mit einer geringen Strafe davon, während die Angestifteten nach Paragraph 4 des Jugendgerichtsgesetzes für schuldunfähig erklärt werden mussten. Dieser Mechanismus förderte, wie an er einem Beispiel erläuterte, die Bildung krimineller Banden mit gewalttätigen Strukturen. Die Leitung wusste sich offensichtlich nicht anders zu helfen, als die betroffenen bildungsschwachen Jugendlichen in eine psychiatrische Einrichtung abzuschieben, was jedoch nicht immer gelang. Den Geschlossenen Jugendwerkhof hielt der Leiter für ungeeignet.
Der Leiter beklagte sich über das mangelnde Interesse im Umfeld des Jugendwerkhofes. Allein die Gesellschaft für Sport und Technik führe wöchentlich für alle Jugendlichen eine militärische Ausbildung durch. Die Jugendlichen erhielten in diesem Zusammenhang eine Schießausbildung. Darüber, ob eine solche Ausbildung für Jugendliche wirklich sinnvoll war, die im gleichen Bericht als kriminell und gewalttätig charakterisiert worden waren, machte sich offensichtlich niemand Gedanken. Kritik wurde lediglich an der mangelnden Ausrüstung mit Gewehren geübt. Die militärische Formierung der Jugendlichen, so wurde eingeschätzt, wirkte sich positiv auf das Klima am Jugendwerkhof aus.8 Kurze Zeit später muss der Jugendwerkhof geschlossen worden sein. Darüber wurde in den Akten noch nichts gefunden.
Im Jahr 1974 wurde in Bröthen ein Jugendwohnheim erwähnt. Ob es sich um das gleiche Gebäude handelt, ist nicht bekannt.9
1 Bericht über die momentane Situation im Jugendwerkhof Bröthen vom 29. März 1967. In: BLHA Rep. 801 RdB Ctb Nr. 20888/1.
2 Bericht über die Situation an den Jugendwerkhöfen in der DDR vom Spätherbst 1963 (auch mgl. vom 5. Februar 1964). In: BStU MfS ZAIG 844.
3 [Zusammenstellung und Spezifikation von Jugendwerkhöfen und Spezialheimen um 1963, ohne Datum.] In: BArch DR 2/23480.
4 Bericht vom 7. Januar 1963 über die Lage an den Jugendwerkhöfen des Bezirkes Cottbus. In: BLHA Rep. 801 RdB Ctb Nr. 20888/1.
5 Berichterstattung über Heimerziehung (Formblatt, Stichtag: 31. Mai 1963). In: BArch DR 2/23478.
6 Ergebnis und Schlußfolgerungen der Untersuchung in den Jugendwerkhöfen des Bezirkes Cottbus (ohne Datum, Herbst 1963). In: BLHA Rep. 801 RdB Ctb Nr. 20888/1.
7 Berichterstattung (Formblatt, Stichtag: 30. Apr. 1967) über Heimerziehung - Spezialheime. In: BArch DR 2/23475.
8 Bericht über die momentane Situation im Jugendwerkhof Bröthen vom 29. März 1967. In: BLHA Rep. 801 RdB Ctb Nr. 20888/1.
9 Informationen des Rates des Bezirkes Cottbus über die in den Heimen der Jugendhilfe im Jahr 1974 durchgeführten und für das Jahr 1975 geplanten Maßnahmen der Werterhaltung vom 17. Dezember 1974. In: BArch DR 2/12194.
Quelle: http://www.christian-sachse.de/heimerziehung/Broethen.pdf