Ein Heim ist meiner Meinung nach zwar manchmal leider(!) die bessere Alternative, aber kann eigentlich immer nur zweite Wahl sein. Kein Heim, auch keines, in dem man es warm und trocken hatte, in dem man genug zu essen und zu trinken hatte, Klamotten usw., in dem man nicht geprügelt wurde oder gar Schlimmeres passiert ist, ist wirklich gut. Zumindest keines, welches ich kennen gelernt hätte.
Liebe MeeneKleene,
ich glaube ich verstehe was du meinst. Und ich persönlich kenne aus Erfahrung auch kein gutes Heim, war allerdings auch nur in einem einzigen, das reicht mir völlig aus. Trotzdem glaube ich, dass ich dir ein wenig widersprechen muss. Das Zitat hört sich für mich so an, wie die Aussage mancher Sozialpolitiker im Sinne: „Ein schlechtes Elternhaus ist immer noch besser als ein Heim” und das stimmt meiner Meinung einfach nicht (mehr). Und ich möchte als Beispiel auch gar nicht die Extrembeispiele aus Hamburg, oder Alesio aus dem Schwarzwald, die, wenn sie sogar in ein so beschissenes Heim wie deines oder meines gekommen wären zumindest noch leben würden. Du gehst von einem relativ idealisierten Elternhaus aus, das gibt es so in der Realität selten. Zerrüttete Familienverhältnisse, mit sozialer Vernachlässigung der Kinder gibt es gar nicht so selten und das ist nicht einmal unbedingt eine Frage des Einkommens oder der Bildung, schau dich in deinem erweiterten Bekanntenkreis um, du wirst sicherlich Beispiele kennen. Die Aussage ein Heim ist immer die schlechtere Alternative ist ebenso falsch wie diejenige, dass ein Kind nur bei der Mutter, nicht aber beim Vater aufwachsen kann, auch das wurde so gesagt und auch das ist erwiesenermaßen falsch.Es gibt genügend Fälle wo ein Aufwachsen von Kindern in einem strukturierten, klaren und harmonischen Heim doch die 1. Wahl und pädagogisch sinnvoller sein kann, als ein schlechtes elterliches Umfeld. Das gleiche gilt für Pflegefamilien: es kann, es muss aber nicht die bessere Wahl sein.
Wenn wir von unseren Erfahrungen berichten, müssen wir immer den Zeitrahmen betrachten über den wir die Aussagen treffen. Und ich behaupte mal, dass es ab 1975 eine grundlegende strukturelle Verbesserung gab. Ich beziehe mich jetzt ausdrücklich auf die Heime in der BRD, über die Heime der DDR kann ich keine Aussagen machen, das steht mir nicht zu. Zumindest meine ich, dass allerdings auch in der DDR die Anwendung von physischer und psychischer Gewalt gegenüber Kinder in Heimen zumindest nicht gestzlich erlaubt war, wenn es auch nicht strafrechtlich sanktioniert wurde. Im Westen wurde es spätestens ab 75 strafrechtlich verfolgt, wenn es bekannt wurde (ob es bekannt wurde ist allerdings eine andere Frage). In den Jahren davor war die Gewalt gesellschaftlich und gesetzlich toleriert und das ist der eigentliche Skandal. Deshalb gab es so viele schlechte Heime und so entsetzliche Geschichten die hier immer wieder im Forum berichtet werden. Ein anderes Thema ist die sexuelle Gewalt die in vielen Heimen systematisch betrieben wurde. Die war auch vor 1975 verboten, hier wurde kollektiv weggeschaut weil nicht sein kann, was nicht sein darf, insbesondere in kirchlichen Einrichtungen (oder vermeintlich reformpädagogischen Einrichtungen wie die Odenwaldschule). Ich unterscheide also die systematische strukturelle Gewalt in vielen oder den meisten Heimen vor 1975 von individuellen Gewalterfahrungen danach.
Heime mit struktureller Gewalt waren nicht nur schlecht, sie waren NUR schlecht. Punkt. Ich war in so einem Heim und es war niemals eine Alternative für irgendwas. Andere Heime ohne eine solche strukturelle Gewalt konnten und können allerdings sehr wohl eine Alternative sein und auch eine bessere Wahl. Das heißt nicht, dass dort alle Kinder immer glücklich sind. Wie denn auch. Zum einen kommen sie heute (und kamen oft damals) mit einer bestimmten Geschichte in so eine Anstalt, zum anderen bedeutet das Leben in einer Gemeinschaft, dass man sich an Regeln halten muss und das macht nicht immer jeden zu jederzeit glücklich. Und erst recht nicht wenn man ein Jugendlicher in der Pubertät ist. Ein harmonisches und ideales Elternhaus heißt im Gegenzug jedoch auch nicht, das alles konfliktfrei abgeht, zumindest nicht wenn es um den Müll wegbringen oder Hausaufgaben geht.
Was ich damit sagen will ist, dass man immer den Kontext betrachten muss, wenn man so eine Aussage über die Qualität der Heime treffen möchte. Ich persönlich kam nach meiner Heimentlassung vom Regen in die Traufe, als ich wieder in mein „Eltern”-Haus musste. Schlecht ist einfach nicht das Gegenteil von noch schlechter, die Alternative wäre gut, egal ob Heim oder Eltern.
Andres