Und noch eine - wahrscheinlich letzte Geschichte - über mich aus dem Kinderheim Bühr.
Ich würde mich riesig freuen, wenn andere aus diesem Heim mit mir Kontakt aufnehmen würden und vielleicht auch was schreiben. Gerne auch nur per PN (Private Nachricht) falls ihr nicht gerne in der Öffentlickeit etwas schreibt.
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Meine Entlassung aus dem Kinderheim Bühr ging nach meiner Erinnerung, aber auch nach der Erzählung von anderen ratz-fatz über die Bühne. Ich habe es vielleicht eine Woche, mit Sicherheit keine zwei Wochen vorher davon erfahren. Ich wurde eines Tages in das berüchtigte Büro der Heimleiterin links neben der Eingangstür gerufen. Dort erhielt ich die zu erwartende Standpauke von wegen wie undankbar ich sei, von irgendwelchen Lügengeschichten, die ich erzählen würde (ich hatte keine Ahnung wovon sie redete), aus mir würde sowieso nichts werden und ich würde schon sehen wohin das alles führe, aber auf jeden Fall zu nix Gutem. Bis dahin war also alles normal und dann war ich aus ihrem Büro auch schon wieder entlassen ohne die gewohnten Ohrfeigen, das allerdings war höchst ungewöhlich. Ich wurde dann glaube ich noch eimal beim Essen vor allen anderen rund gemacht, aber das war es dann auch, danach kam nichts mehr. Eigentlich war es weniger als nichts, ich war von da ab Luft, nicht existent. Nicht dass das mir irgendwas ausgemacht hätte, im Gegenteil, aber anscheinend hatten die "Tanten" die Anweisung mich zu ignoriren und vor allem mir nichts mehr zu tun. Befürchteten sie vielleicht irgendwelche sichtbaren Zeichen der Misshandlungen im Heim? Es müssen die besten zwei Wochen dort gewesen sei, ich hatte Narrenfreiheit und war zudem endlich eimal unter den anderen was besonderes, denn ich durfte ja bald raus. Abgeholt hat mich dann bestimmt mein Vater, wer auch sonst - keine Erinnerung mehr daran. Bei ihm durfte ich dann auch noch zwei Wochen oder so bleiben, bevor ich dann wieder in die Wohnung von ...
... der Frau geschickt wurde, die mich auf die Welt bringen musste und dann ins Heim gebracht hat.
Tja und dann musste ich auch wieder in die Schule. 30 - 40 Minuten Fußweg, eine Strecke, auf dem Rückweg meist doppelt so lang . An diesen ersten Schultag kann ich mich allerdings sehr genau erinnern. Ich wurde vor die Klasse gestellt und mit den Worten vorgestellt: "Das ist Andres, der ist ab jetzt bei euch(!) in der Klasse. Vorher war er in einem Erziehungsheim". Vielen Dank, aufgrund der hervoragenden und einfühlsamen Pädagogik hatte ich dann gleich mein Stigma fast bis zum Ende (habe ich an irgendeiner Stelle eigentlich schon mal erwähnt, dass ich Lehrer hasse?). Ich wurde in die hinterste Reihe rechts in eine leere Bank gesetzt und da blieb ich im großen und ganzen die restliche Zeit. Ab und an wurden Störenfriede zur Strafe neben mich gesetzt, meist nicht lange. Freunde hatte ich keine, oder erst am Ende der Hauptschule in der Klasse. Ich war ein Einzelgänger, verhaltensgestört, lernbehindert, ungeschickt, unsportlich, unattraktiv, schlecht gekleidet (meine Anziehsachen kamen meist von der Kleiderspende der AWO). Beim Schulsport war ich immer der letzte der in eine Mannschaft gewählt wurde, ich konnte keine Bälle fangen. (Sehr viel später, bei der Bundeswehr, als man meinte meine Schießausbildung sei Munitionsverschwendung, hat man einen simplen Grund dafür gefunden, ich hatte einen Sehfehler, den man als Kind ganz leicht mit einer Brille dauerhaft hätte korrigieren können. Allerdings haben die sich beim Bund getäuscht: Im Ernstfall hätte ich, Brille hin oder her, sehr wohl gewußt auf welche Leuteschinder ich schießen muss und auch getroffen). Meine Schulzeit am Anfang habe ich abgesessen. Unbeteiligt, unauffällig, froh wenn ich nichts gefragt wurde.
Nach ca. 8 Wochen kam nochmal so eine Tussi vom Jugendamt vorbei, darüber gibt es meinen letzten Akteneintrag und ich kann mich sogar an die Szene erinnern. Die Frau bei der ich wohnte hat sich anscheinend bitter über mich beklagt. Ich sei faul, ungezogen, würde keine Hausaufgaben, dafür immer noch ins Bett machen. Wobei das mit den Hausaufgaben hat die Frau eh nur registriert, wenn mal wieder ein Brief aus der Schule kam. Ich würde auf keine "Erziehungsmaßnamen" reagieren. Damit hatte sie womöglich recht, ich bin von Profis gedemütigt und geschlagen worden, alles was diese Frau hinterher versucht hat, war unterste Amateurliga und konnte mich gar nicht mehr beeindrucken. In der Akte steht
Zitat
Sie sieht viel zu viel schlechtes in dem Jungen
, aber auch
Zitat
Der Junge ist schwierig und nützt die Unsicherheit der Mutter aus
Wie bitte? Ich war noch nicht mal 11 und sie bald 40. Wer wurde hier benutzt, ausgenutzt? Aber klar, das Heimkind war schuldig.
Und dann kommt in der Akte der Hammesatz:
Zitat
Ins Heim will er auf keinen Fall wieder zurück
Hallo? Mir wurden Vorwürfe gemacht, weil ich so schlecht bin und dann werde ich mal so eben gefragt (oder war es eine Drohung) ob ich wieder ins Heim wolle?
Natürlich wollte ich nicht mehr ins Heim zurück, wo man geschlagen wird, zu der Hexe die kleine Kinder frißt.
Natürlich wollte ich wieder ins Heim zurück, denn da kannte ich meine Rolle und hatte wenigstens andere Kinder die mit mir redeten, mit denen ich manchmal spielen konnte. Die Schule dort war genau so scheiße und ich genau so lethargisch, aber in der Pause hat man mich in Ruhe gelassen, denn da waren immer noch die älteren Bühr-Kinder. Und egal welchen Status ich intern hatte, nach aussen hin wurde ich beschützt.
Aber die erfahrene Sachbearbeiterin wäre solch differnzierten Ansichten unsicher gegenüber gestanden. Zu ihrer Entschuldigung muss man vielleicht sagen, dass ich damals vielleicht auch noch nicht differenziert formulieren konnte. Zum Schluß stand der Hinweis ans Amt "Laufende Betreuung notwendig" Von wem eigentlich? Von mir oder der Frau? Aber eh egal, danach ist "laufend" nie wieder jemand aufgetaucht.
Meine Heimzeit war mit der Entlassung also noch lange nicht vorbei. Und ich entdecke jetzt Verhaltensweisen an mir, die ein ganz typisches Muster ergeben. Schauderhaft.
Ich habe hier im Forum ettliche Geschichten von Heimkindern gelesen, die viel mehr durchgemacht haben müssen, von getrennten Geschwistern, von Aufenthaltsstakaten vom Kleinkindalter bis zum Ende der Ausbildung, von noch mehr Gewalt, von noch mehr Missbrauch und ich frage mich ob es irgendwo eine Grenze der Leidensfähigkeit gibt? Hätte ich noch mehr ertragen können, wäre ich abgestumpfter?
Es gibt einige wenige Einträge hier im Forum, viel zu wenige, wo sinngemäß steht: Meine Heimzeit war die beste Zeit in meinem Leben, klar war es manchmal hart, aber wir wurden mit Respekt behandelt, hatten unsere Pflichten aber auch unsere Rechte, wir haben lernen müssen miteinander umzugehen aber durften auch Kinder sein.
Ich denke in so einem Heim wäre ich gerne gewesen und es wäre bei weitem besser als im "Da-Heim" gewesen. Aber ausgerechnet das Kinderheim Bühr?