Beiträge von Forengeist

    Augustusweg 62
    01445 Radebeul


    · http://www.kinderarche-sachsen.de


    Die Kinderarche Sachsen ist ein großer freier Träger der Jugendhilfe im Freistaaat Sachsen. Sie ist ein Kind der
    politischen Wende im Jahre 1989. Damals wollten Radebeuler Pädagogen die Kinder- und Jugendheime der
    DDR-Zeit, die unter staatlicher Aufsicht durch das Ministerium für Volksbildung standen, verändern. Die Idee,
    stattdessen eine Arche für Kinder zu bilden, kam aus Bayern. Am 27.05.1992 gründeten wir in Zusammenarbeit mit
    Vertretern der Bayerischen Kinderarche einen eigenen sächsischen Träger der Jugendhilfe, den Verein Kinderarche
    Sachsen, der seine Heimat im Diakonischen Werk der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens fand.


    Der Verein Kinderarche Sachsen ist heute in zehn sächsischen Landkreisen - vom Vogtland bis in die Lausitz -
    präsent und führt über 35 Einrichtungen, Wohngruppen und Angebote mit etwa 430 Plätzen. Er ist Dienstgeber für
    weit mehr als 260 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in den überwiegend stationären und teilstationären Ein-
    richtungen, aber auch im Kindertagesstättenbereich und in ambulanten Angeboten tätig sind.


    Wenn Du in dieser Einrichtung warst, kannst Du hier alles posten,
    an was Du Dich erinnerst

    Pressebericht aus Zeit online


    Das Heim im Kopf


    Peter Laxy war ein Heimkind der frühen Bundesrepublik. Er erzählt von seiner Zeit im Erziehungsheim Fichtenhain. Von Demütigung, Gewalt und Hunger
    Peter Laxy heute in seinem Garten



    Er hat wieder nur wenig geschlafen. Denn die Bilder lassen ihn nicht los. Wenn er die Augen schließt, kann er ihn sehen: Den Junge aus der Abteilung 6, der eines Nachts versucht, an zusammengeknoteten Nachthemden durch das vergitterte Fenster zu entkommen. Der Knoten löst sich. Und einen Moment ist es so, als schwebe der Junge in der Luft. Dann schlägt er auf dem Steinboden auf. Überall ist Blut. Und in seinen Ohren klingt das Geräusch nach, als würde eine Nuss geknackt; der Kopf, der auf Stein zerbricht.
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    Peter Laxy hat selbst mehr als einmal versucht, aus dem Kinderheim Fichtenhain bei Krefeld zu fliehen, das damals in Trägerschaft des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR) stand. Dort lebte er von 1953 bis 1956. Jetzt, mehr als 50 Jahre danach, erzählt er zum ersten Mal von seinen Erlebnissen.


    Er selbst nutzt nur Gelegenheiten für eine Flucht und wurde immer wieder aufgegriffen. Die Strafe: Für zwei Tage Abwesenheit gibt es vier Tage Arrest in einer Einzelzelle. Ein Raum mit Betonbett. Ein Gitter. Sonst nichts.


    Schätzungsweise 800.000 Kinder lebten in der Nachkriegszeit bis Mitte der 70er Jahre zumindest zeitweise in Heimen. Wie viele von ihnen wie Peter Laxy Gewalt, Demütigung und Hunger ertragen mussten, ist nicht klar. Seit Februar 2009 beschäftigt sich auch die Politik mit dem Thema. An einem Runden Tisch in Berlin versammeln sich alle zwei Monate ehemaligen Heimkinder, Vertreter von Bund, Ländern, Kirchen und der Jugendhilfe. Dabei geht es laut der Vorsitzenden und ehemalige Vizepräsidentin des Bundestages Antje Vollmer (Grüne) um Entschuldigungen und die Frage, ob eine Entschädigung der Betroffenen möglich ist. Die dritte Sitzung des runden Tisches findet am 15. und 16. Juni statt. Vorher schon hat der Verein ehemaliger Heimkinder (VEH) gefordert, einen Entschädigungsfonds in Höhe von 25 Milliarden Euro einzurichten.


    An guten Tagen im Knast, erzählt Laxy, gibt es normale Essensrationen. Morgens ein Becher Muckefuck und zwei Scheiben Brot, mittags Kartoffeln und Gemüse, was oft ungenießbar ist, weil vieles verfault ist. Abends Brot. An schlechten Tagen bekam er nur einen Kanten Brot. Mit 14 Jahren wiegt er 38 Kilo.


    Strafe gibt es, weil dem Erzieher danach ist. Niemand weiß wann, aber alle wissen, dass es kein Entkommen gibt. "Der bekommt heute den ,Heiligen Geist’", sagt der Erzieher grinsend. In einer Nacht kommen die Mitzöglinge, die dem Erzieher ergeben sind, in den Schlafsaal zu Laxy, ziehen ihm die Decke über den Körper, dass er wie in einem Sack gefangen ist. Sie wickeln Lederpantoffeln in ein Handtuch, machen es nass und schlagen auf ihn ein, bis ihnen die Arme müde werden. Am nächsten Tag feixt der Erzieher: "Na, biste die Treppe runtergefallen?"


    Laxy ist "ein harter Hund", sonst hätte er das alles nicht überleben können. Er fragt sich, wie in einer neu erwachten Demokratie so etwas überhaupt möglich war. "Was waren das für Menschen?"


    Einer der Erzieher ist nicht nur ein Sadist, er ist auch ein Päderast. Auf seinem Tisch steht gut sichtbar eine Dose mit Melkfett. "Auch mit mir hat er was vorgehabt", sagt Laxy, "aber ich habe mich mit Händen und Füßen gewehrt." Nur dem sexuellen Missbrauch ist er entkommen.


    In Handschellen wird er an seinem ersten Tag im Heim abgeliefert. Wie ein Schwerverbrecher. Dabei hatte er gar nichts getan. Seine Mutter schickt ihn zur Tante, sie will den Sohn nicht. Sie meldet ihn bei der Polizei als vermisst und als Dieb, weil Laxy Geld für die Bahnfahrkarte genommen hat. Und die Polizei steckt ihn ins Heim, nach Fichtenhain.


    Da sitzt er erst einmal drei Wochen verängstigt und verstört herum und hat nichts zu tun. Er bekommt keine Begründung, keine Einweisung, kein Gespräch. Die Eintönigkeit wird nur unterbrochen von den Mahlzeiten und den Schlägen der Erzieher.


    Dann beginnt die Zeit der Arbeit; es geht "auf Kommando", wie das damals heißt: Fünf Uhr aufstehen, anziehen, frühstücken. Die Jungs müssen auf die Ladefläche eines Treckers klettern und werden zu den Bauern gefahren. Geschützt nur durch eine Verladeklappe.


    Laxy friert immer. Die Kleider sind aus alten französischen Militärbeständen. Dünne Hemdchen, durchscheinende Jacken. Er stopft sich Hemd und Gummistiefel mit Zeitung aus. Aber es nützt nichts. Im kalten Fahrtwind, auf den zugigen Feldern, nass geschwitzt nach der harten Arbeit, friert er. Laxy und seine Kameraden verrichten Schwerstarbeit. Oft zwölf Stunden lang. Auch sonntags. Felder umgraben, dreschen, Möhren, Kartoffeln und Rübenblätter für den Winter eingraben. Bei jedem Wetter.


    Der Landschaftsverband Rheinland schreibt ihm heute, für die Arbeit habe es ein Taschengeld gegeben. Laxy sagt aber, er habe niemals welches bekommen außer vier Zigaretten zur Belohnung.


    Heute lebt der mittlerweile 71-Jährige glücklich mit seiner Frau, in einem Häuschen bei Köln. Aber er kann nicht schlafen. Schuld daran ist Fichtenhain, das Kinderheim, das sich in seinen Erinnerungen festkrallt. Das ihn nicht los lässt. Bis heute.


    http://.zeit.de/online/2009/25/heimkinder-laxy?page=3